Die Welt dreht sich immer weiter ...Shadowrun

Date mit Eve

Seattle; Mitte 2052

© 1994 by Karsten Flott

Manche Leute mögen glauben, die Welt sei kompliziert. Dinge ändern sich ständig, ändern ihr Erscheinungsbild, ihr Wesen, ihre Essenz. Glauben manche Leute. Chummers, Ihr wißt ja gar nicht, wie sehr Ihr auf dem Holzweg seid. Die Essenz aller Dinge bleibt gleich. Die Welt ist durchtränkt von der Essenz; durchtränkt und durchdrungen. Manche Leute können sie sehen, können den Lebensfluss sogar berühren. Es ist ein tolles Feeling zu spüren, wie du deinen Körper verlässt und deinen Gegenüber so siehst, wie er wirklich ist. Du siehst, ob er ein Killer ist, ein Feigling, ein Held, ob sein Lebensfluss durch tote, graue Implantate verunstaltet wird oder ob er besonders stark durch seine Adern pulsiert und von ihm gelenkt werden kann. So wie von mir. Die Kraft beugt sich meinem Willen. Sie gibt mir die Macht, Autos in Feuerbällen zerplatzen zu lassen, Leben zu geben, wenn keine Rettung mehr möglich scheint und Menschen all ihrer verborgenen Geheimnisse zu berauben. Ja, sie gibt mir Macht. Aber alles auf der Welt hat seinen Preis. Das Vakuum, das sich auftut, wenn ich diese Energie nutze, wird durch meine Lebenskraft geschlossen. Der Entzug kann fürchterlich sein, so stark, dass es einen umbringt. Aber du lernst, damit umzugehen. Die Hermetische Tradition hält viele Wege bereit, um Entzug zu vermeiden. Hochkomplizierte Formeln sorgen für eine enge Fokussierung der Kräfte, die frei werden, die Bündelung der Energie gehorcht komplexen mathematisch-physikalischen Gesetzen. Das macht die Kontrolle aus. Das und ein eiserner Wille. Beides ist zum Überleben in dieser Welt notwendig.

Momentan jedoch fühlte sich mein Wille überhaupt nicht eisern an, vielmehr stand er auf recht wackligen Beinen. Ich war in der "Space Needle", dem ultranobelsten Schuppen in ganz Seattle. Das Bauwerk ragte wie eine spitze Nadel über der Skyline des Megaplexes auf, und ich befand mich ganz oben, im "Nadelöhr". Das Five-Star-Restaurant rotierte, untertassenförmig angelegt, um seine eigene Achse. Ein Stern für das Essen, ein Stern für die Getränke, einer fürs Ambiente, einer für die Aussicht und einer - mindestens einer - für die Gäste. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viele Magier auf einem Haufen gesehen. Mir war ganz schwindlig von der Kraft, die hier durch den Raum floss, so schwindlig, dass ich aufhören musste zu askennen. Mir wurde von einer Bedienung ein Platz am Fenster zugewiesen, den ich vorher telefonisch bestellt hatte, während eine andere mir meine Garderobe abnahm - den teuren Calaroni-Mantel, den ich mir extra für diese Verabredung angeschafft hatte, meinen schwarzen Hut und den runenverzierten Stab, den ich immer bei mir trug. Mit Schrecken dachte ich an das Trinkgeld, das ich dem Personal geben musste. Es würde eine horrende Summe sein. Innerlich seufzend setzte ich mich. Durch das Fenster blickend, genoss mein Auge die Kernstadt von Seattle, die sich wie ein Teppich zu meinen Füßen vor mir ausbreitete. Die Sonne stand tief, durchbrach mit ihren Strahlen einige vereinzelte Wölkchen und der Abendstern leuchtete hell. Die Vorstellung eines Abendessens mit Eve bei Sonnenuntergang ließ mich sämtliche anderen Gedanken vergessen. Hoffentlich kam sie bald. Meine Seikosha- Wristkom sagte mir, dass sie sich bereits eine Viertelstunde verspätet hatte. Na ja, lange Wartezeiten erhöhen den Reiz - besonders bei Frauen wie Eve Donovan. Ich hatte sie bei unserem letzten Run kennengelernt. Sie war Schieberin. Ein gefährlicher Beruf. Nur die Besten brachten es zu etwas und konnten sich einen solchen Lebensstandard leisten wie Eve. Sie hatte uns sowohl den Run besorgt als auch die dazu benötigte Ausrüstung. Ohne ihre exzellenten Magschloss-Knacker wären wir nie in das Mitsuhama-Forschungszentrum gekommen. Innerhalb von nur einem Tag hätte sie uns falsche SINs besorgt, wenn es nötig gewesen wäre. Glücklicherweise kamen wir mit einem gekaperten Lieferwagen problemlos herein. Es ging alles so glatt wie im Traum. Als wir Eve die Datei zum Kauf anboten, ließ sie sich sogar von mir höher handeln. Das war zwar Geschäft, aber ich hätte sie wohl kaum zum Essen eingeladen, hätte sie sich stur gestellt. Bei der Verhandlung blickte ich ihr direkt in ihre großen, mandelförmigen, leicht schräggestellten schwarzen Augen, die mich fast so unschuldig anschauten wie Bambi. Ich musste mich ziemlich zusammennehmen, um mich nicht in ihnen zu verlieren. Der Gedanke an das Geld half mir dabei, aber trotzdem - in dem Augenblick hätte ich mich fast verliebt, und bei dem Gedanken daran lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich kann es mir nicht leisten, in meinem Metier eine Beziehung einzugehen, die über das Körperliche hinausgeht. Das würde mich verletzlich machen. Ich hoffte, dass ich an diesem Abend nicht schwach würde.

Wo blieb sie bloß? Sie war inzwischen eine Dreiviertelstunde über der Zeit. Normalerweise war sie immer pünktlich gewesen. Ich wandte meinen Blick vom Horizont, den ich die ganze Zeit mit nach innen gekehrten Augen angestarrt hatte, und ließ ihn durch das luxuriös eingerichtete Restaurant streifen. Die kuriosen Gestalten, die sich hier versammelt hatten, waren in seltsame Gewänder gekleidet, ähnlich meinen eigenen. Ich sah blitzendes Goldbrokat in Form einer orientalischen Schlange, um den Körper einer Frau gewunden, Federn und Klingelkram bei einem in fransengeschmückte Lederklamotten gehüllten Schamanen, selbst einen spitzen blauen Hut und grauen Mantel konnte ich aus der Ferne erblicken, was mich an Tolkiens Gandalf erinnerte. Man brauchte nicht einmal die Macht erkennen können, um zu sehen, dass diese Leute Magier waren.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich wandte mich um. Vor mir stand ein mittelgroßer, in einen dunklen Anzug gekleideten Mann mit blitzenden Augen, deren Iris aus purem Gold zu bestehen schien.

»Mr. ... ahem... Magnus?« fragte er und strich sich durch seine schwarzen strähnigen Haare. Beim Anblick seiner Cyber-Augen hatte ich ihn sofort askennt und die grauen, den Lebensfluss störenden Implantate erkannt. Schön. Zumindest war er kein Magier. So verdrahtet wie er war, hätte er auch kaum eine Chance dazu gehabt.

Wahrscheinlich Kunstmuskeln, Dermalpanzerung und Reflexbooster, vielleicht Talentleitungen. Dieser ganze Krempel hätte ihn umgebracht, wenn er versucht hätte, eine Karriere als Hexer anzufangen. Was wollte er?

»Ja, ganz richtig«, entgegnete ich. »Der bin ich.«

»Ms. Donovan lässt Ihnen ausrichten, dass sie ihren Termin mit Ihnen heute leider nicht wahrnehmen kann. Sie schlägt vor, das Ganze auf nächste Woche Dienstag um die gleiche Zeit zu verschieben.«

Ich überlegte. Was konnte ihr wohl dazwischengekommen sein? Nahm sie unser Rendezvous nicht ernst? Nein, das sah ihr nicht ähnlich, dass sie mich einfach so mir nichts, dir nichts versetzte. »Hat Ms. Donovan gesagt, warum sie mich nicht treffen kann?«

»Das hat sie leider nicht getan, Sir. Aber Sie sollen sich keine Sorgen machen. Kann ich ihr ausrichten, dass Sie mit der Verschiebung einverstanden sind?« Sie sollen sich keine Sorgen machen... das hörte sich nicht nach Eve Donovan an. Es war überhaupt nicht ihre Art, sich um die Gemütszustände anderer Leute zu kümmern. "Sorgen" gehörte einfach nicht zu ihrem Vokabular. Ich konzentrierte mich kurz und erforschte den Geist meines Gegenübers. Was immer er jetzt auch sagte, ich würde den Wahrheitsgehalt sofort feststellen können. »Ich weiß nicht, ob ich am nächsten Dienstag Zeit habe. Vielleicht ist es ihr genehm, wenn ich sie zwischenzeitlich anrufe und das mit ihr abkläre?«

»Sir, Ms. Donovan ist momentan sehr beschäftigt und außer Haus. Ich bezweifle, dass Sie ohne weiteres Kontakt mit ihr aufnehmen können.« Ha, erwischt. Das war glatt gelogen. Warum war ich nicht vorher darauf gekommen? Sie schickte einen Boten, anstatt ihr Telekom zu benutzen? Lächerlich.

»Das ist allerdings äußerst ungünstig. Reisen Sie mit ihr oder bekommt sie meine Antwort erst nach ihrer Rückkehr?« Der Kabeltyp zögerte nur einen winzigen Augenblick. »Diese Information ist leider streng vertraulich. Schließlich geht es um Ms. Donovans Sicherheit; bitte entschuldigen Sie, Sir.«

»Vielen Dank, Sir.« Mit einem Blick, den ich hundertprozentig für argwöhnisch gehalten hätte, wenn nicht seine ausdruckslosen Augen gewesen wären, wandte er sich um und bewegte sich in Richtung Ausgang. Ich indes hatte keineswegs die Absicht, ihn einfach so entkommen zu lassen. Eve war etwas zugestoßen, da war ich sicher. Der Typ war zwar der geborene Schauspieler, aber halt nicht perfekt in seiner Darbietung. Ich askennte ihn nochmals, bevor er verschwand, und prägte mir das Muster seiner Aura bis ins letzte Detail ein. Das war wie ein Fingerabdruck oder ein Retina-Scan. Der würde mir nicht mehr entwischen, wenn ich mich beeilte. Ich rief einen der Kellner und ließ mir die Toilette zeigen. Ich schloss mich in eine der pieksauberen, geräumigen Zellen mit den bequemen Schüsseln ein, die in meiner normalen Umgebung nach Urin und Kot stanken. Hier roch es leicht nach Desinfizierungsmittel. Dort, mit mir allein, setzte ich mich und ließ mich in den Astralraum gleiten. Mein Körper sackte in sich zusammen, als meine Essenz aus ihm herausschlüpfte. Ich sah an mir herunter. Mein Erscheinungsbild war wesentlich größer und muskulöser als in der anderen Welt, denn hier galten die Gesetze des Geistes, und bloße Kraft zählte null. Auf meinem Arm, besser um meinen Arm gewunden, war die silberne Schlange, mein ständiger Begleiter in dieser Dimension, in der physischen Welt ein schlichter Ring an meiner rechten Hand. Sie war ein magisches Wesen, ein "Gegenstand", ein sogenannter Kraftfokus, der einem Magier bei der Hexerei, beim Beschwören und bei anderen astralen Manövern half.

Ich ging durch die Kabinenwand und durch die des Raumes, mitten durch Tische und Stühle, wich jedoch den Leuten aus, die auch hier "physisch" anwesend waren, besonders den Magiern. Einige askennten mich und nickten mir zu, was ich erwiderte. Ich war heilfroh, dass keiner von ihnen paranoid war. Übereifrige Zauberer, die mich jetzt behinderten, würden mir gar nicht gelegen kommen. Ich schwebte aus dem "Nadelöhr" hinaus in die klare Abendluft. In der realen Welt war es inzwischen dunkel, hier jedoch schien nie die Sonne unterzugehen, denn das Leben selbst gab dem Astralraum Licht.

Ich konzentrierte mich wieder auf die Aura des Boten. Irgendwo hier musste er herumlaufen. Er war wahrscheinlich mit dem Turbolift ins Erdgeschoss gefahren. Ich beschleunigte kurz in Richtung Erde und fand mich direkt über dem Boden wieder. Just in diesem Augenblick trat er aus dem Gebäude, schaute sich suchend um und entdeckte anscheinend eine Limousine, die am Straßenrand auf ihn wartete. Keine Ahnung, was das für einen Wagen war. Im Astralraum wirkte er seltsam farblos und tot. Noch bevor der Kabeltyp einsteigen konnte, war ich in den Wagen geschlüpft und hatte mich neben einen ältlich wirkenden, fast kahlköpfigen Mann gesetzt, der nervös mit den Fingern auf dem Polster herumtrommelte. Als der Kabeltyp eingestiegen war, setzte sich der Wagen in Bewegung. Ich versuchte, unsere ungefähre Fahrtrichtung auszumachen, um es hinterher nicht ganz so schwer zu haben, die Leute in der realen Welt wiederzufinden. Das Problem im Astralraum ist die Orientierung in einer Stadt, noch dazu in einer so großen wie Seattle; Hinweisschilder, Hausnummern oder ähnliche Dinge erschienen dort genauso tot wie graue, langweilige Materie. Dafür spürte man ganz deutlich die Gefühle, wenn man zum Beispiel ein Liebesgedicht las. Allerdings war diese Eigenschaft des Astralraums meistens eher hinderlich als nutzbringend.

Die beiden sprachen kein Wort miteinander. Anscheinend verließ sich der Ältere darauf, dass alles glatt gegangen war. Na ja, wir würden sehen. Wie es aussah, fuhren sie in einen anderen Distrikt der Stadt, ich vermutete Seattle/Downtown, denn der Plex verwahrloste zusehends, die steilen, schnieken Skyscrapers wurden durch alte Backsteinbauten ersetzt. Irgendwann machten wir halt, und die Tür öffnete sich automatisch. Das ungleiche Paar stieg aus, blickte sich um und verschwand in dem Hintereingang eines heruntergekommenen, mit ziemlich hässlichen Graffiti-Sprüchen beschmierten Hauses. Den Wagen ließen sie einfach so stehen. Seltsam, in dieser Gegend. Entweder kannten sie sich nicht mit den Gepflogenheiten von Automardern aus oder sie waren sicher, dass es niemand wagen würde, ihr Gefährt zu stehlen. Sollte mir egal sein. Ich folgte den beiden in einen geräumigen Keller, in dem es bis auf unsere Lebenslichter und die einiger Ratten keine Beleuchtung gab. Dann traten sie auf eine Tür zu, klopften das Schicksalspochen aus Beethovens fünfter Sinfonie aufs Holz und gingen hinein, als ihnen von innen geöffnet wurde. Ich hatte glücklicherweise solche Spielereien nicht nötig und passierte die Tür. Das war ein Fehler. »Ich hätte besser geklopft«, dachte ich, als ich auf die magische Barriere prallte, die sich direkt hinter der Tür befand. Welcher Idiot von tattrigem Zauberkünstler hatte hier seinen Hermetischen Kreis gezogen? Den "tattrigen Zauberkünstler" nahm ich sofort zurück, als ich die Kraft der Barriere spürte. Es tat nämlich verdammt weh, als sie auf mich einschlug. Tolle Sache. Jetzt wusste mein Gegner sogar, dass jemand auf seine kleine Überraschung gestoßen war. Gut. Da es inzwischen sowieso egal war, machte ich mich kampfbereit und konzentrierte mich auf ein Manageschoss. Der Kopf der Silberschlange auf meinem Arm schnellte nach vorn, als ich ihre Energie anzapfte, um meinem Spruch mehr Kraft zu verleihen. Der Zauber, der hier in der Gestalt eines Löwen erschien, entstand direkt in meiner Hand, schoss mit unfassbarer Geschwindigkeit auf die Barriere zu und warf sich auf sie. Diese hatte inzwischen die Form eines gepanzerten Zyklopen angenommen und schlug mit einem Hammer zu, der Thor alle Ehre gemacht hätte. Bevor er jedoch auch nur einmal zugeschlagen hatte, versetzte ihm der Löwe zwei kräftige Prankenhiebe, die ihn zurückweichen ließen. Die Hiebe waren zwar nicht bis aufs Fleisch gedrungen, doch konnte ich deutlich ausmachen, dass seine Plattenrüstung an den Stellen gebrochen war. Ich löste meinen Blick von dem astralen Kampf und schaute mich um. Wenn mich nicht alles täuschte, musste hier über kurz oder lang der Erschaffer des Kreises auftauchen. Ließ sich ganz schön Zeit, der Knabe. Uppsala, sagte ich gerade Knabe? Es war kein Knabe, was ich da erspähte, vielmehr eine große Ratte, die mich ansprang. Das war kein Spruch, oh nein! Es war also kein hermetischer Magier gewesen, der den Koks hier verursacht hatte, sondern ein Rattenschamane, und die Barriere war um seine Medizinhütte gezogen. Nicht dass es einen Unterschied gemacht hätte. Die Ratte zog mir ihre Klauen blitzschnell durchs Gesicht und setzte an, mir in die Kehle zu beissen, doch verpasste ich ihr einen Tritt, während Silberschlange versuchte, sich um ihren Hals zu wickeln, um sie zu erwürgen. Wieder einmal wünschte ich mir eine magische Waffe, die ich aus der physischen Welt hätte mitnehmen können. So blieben mir nur meine Fäuste. Glücklicherweise waren, genauso wie mein körperliches Erscheinungsbild, auch meine Kampffähigkeiten verändert. Ich wunderte mich fast selbst, wie leicht es mir fiel, Rechts-Links-Kombinationen auszuteilen. Ich erwischte die Ratte ein paarmal schwer in der Magengrube, bevor sie zu einem neuen Angriff ausholen konnte. Mein Versuch, mich zur Seite zu werfen, scheiterte kläglich, und ihre spitzen Zähne bohrten sich tief in meine Schulter. Gut, dass sie sich nicht festgebissen hatte. Mit ein paar gezielten Fußtritten schickte ich den Schamanen ins Reich der Träume, und die Ratte sank in sich zusammen.

Währenddessen tobte der Kampf zwischen meinem Zauberlöwen und dem Zyklopen weiter, und wie ich sah, stand es schlecht um meinen Matador. Dem Zyklopen fehlten zwar hier und da ein paar Rüstungsteile, die ihm der Löwe abgerissen hatte, und er hatte eine üble Wunde am rechten Schienbein davongetragen, der Löwe jedoch sah so aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Er bot nur noch verzweifelte Gegenwehr. Ich war gerade im Begriff, selbst in den Kampf einzugreifen, als ich von hinten gepackt und zu Boden geschmettert wurde. Die Luft wich mir aus den Lungen und der Löwenzauber löste sich auf, als meine Konzentration schwand. Ich sah mich einem wahren Riesen von Kerl gegenüberstehen, was heißt Kerl, er sah aus wie ein orientalischer Djinn mit Lendenschurz, goldbestickter Weste und einem Turban. Mit verschränkten Armen blickte er auf mich herab.

»Du hast hier nichts verloren, du Wicht!« tönte er mit donnernder Stimme. »Also verschwinde oder trage die Konsequenzen.« Was war das für ein Wesen? Er sah aus wie ein Elementargeist von ungeheurer Kraft, aber das machte keinen Sinn. Wo war der Magier, der ihn beschworen hatte? »Du bist noch hier? Dann mach dich bereit, deinem Schöpfer gegenüberzutreten!« Mit diesen Worten holte er aus und schlug mir den Kopf von den Schultern. Jedenfalls fühlte sich das so an. In meinem Geist wirbelten Sternchen, tanzten Tausende kleiner, gemeiner Kobolde und zwitscherten ganze Heerscharen von Vögeln. Noch ein solcher Schlag und mein Kopf wäre wirklich von den Schultern gerissen worden. Als ich wieder halbwegs bei Besinnung war, konnte ich nur den riesigen Astralleib des Djinn vor mir aufragen sehen, der scheinbar aus dem Nichts einen kaum zweieinhalb Meter langen, zweihändigen Krummsäbel hervorgezaubert hatte. Vielleicht erschien er mir auch nur so groß, da er direkt auf meiner Kehle saß.

»Was ist, Menschlein? Hat es dir die Sprache verschlagen?« höhnte er. Wie kam er bloß darauf? Natürlich hatte es mir die Sprache verschlagen; ich zitterte buchstäblich vor Furcht. Ich versuchte zurückzukriechen, weg von der todbringenden Klinge. Seltsamerweise ließ mich der Djinn gehen, ohne auch nur Anstalten zu machen, mir zu folgen. Das beruhigte mich ein wenig und ich konnte fragen: »Du hättest die Gelegenheit gehabt, mich zu töten. Warum hast du mich verschont? Wem dienst du?«

»Du bist in keiner Position, hier Fragen zu stellen, Gewürm! Verschwinde von hier!« Nun, da er wohl kaum noch ein drittes Mal die Geduld aufbringen würde, mich dazu aufzufordern, war die Entscheidung für mich ganz einfach. Panikartig flüchtete ich aus dem Kellerraum, aus dem Haus und aus dem ganzen verfluchten Bezirk. Puh, da hatte ich noch einmal Schwein gehabt. Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte ich an die Kraft des Magiers, der diesen Geist beschworen hatte. Oder war er auf eigene Faust unterwegs, ein freier Geist? Was aber konnte in Seattle schon von Interesse für ihn sein? War es womöglich irgendjemandem gelungen, ein Ritualteam für Geisterbeschwörung zu bilden und der Djinn doch beschworen worden? Und warum hatte er mich nicht einfach getötet? War er etwa nur dazu abgestellt, den Raum zu bewachen? Fragen über Fragen, auf die ich so ohne weiteres keine Antwort erhalten würde. Ich wagte lieber nicht den Versuch, noch einmal in astraler Gestalt diesen Ort aufzusuchen, und machte mich auf den Rückweg zu meinem komatösen Körper. Silberschlange hatte sich - Gottseidank - rechtzeitig um meinen Arm winden können, und war wie immer aufgeregt, was als nächstes passieren würde. Als ich mich zurück in meinen inzwischen übel aussehenden, zerschlagenen Leib begeben hatte, entschloss ich mich dazu, den Ort noch einmal aufzusuchen, diesmal jedoch in meiner physischen Gestalt.

Ich kam mit der Taxe leider zu spät. Als ich meinen Body aus dem Wagen hiefte und das Kellergeschoss betrat, war alles wie ausgestorben. Ich war sicher, dass ich im richtigen Haus war, denn mein Askennen zeigte mir, dass hier vor kurzem ein magischer Kampf ausgefochten worden war. Trotzdem - keine Spuren von dem Geist, der Barriere und schon gar keine Lebenszeichen von Eve. Fuck you, geträumt hatte ich das Ganze auf keinen Fall! Wie konnte der Schamane so schnell seine Medizinhütte abgerissen haben? Irgend etwas war hier im Gange, das niemand mitbekommen sollte. Wahrscheinlich hatten sie angst gehabt, ich könnte mit Verstärkung zurückkehren. Oh nein, ich Idiot hatte nicht einmal daran gedacht, wie schmeichelhaft von meinen Gegnern, mich so zu überschätzen! Aber sollte ich wirklich Sharyl und Murphy mit in die Sache hineinziehen? Wenn sie dabei umkamen, würde ich mir das nie verzeihen. Nein, es war besser, erst einmal auf eigene Faust weiterzumachen. Total am Ende und resigniert ließ ich mich nach Hause fahren. Dort, in der Sicherheit meiner Wohnung wollte ich erneut in den Astralraum gehen. Hoffentlich fand ich die Spur wieder...
 

Ende...
 

 
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