Die Welt dreht sich immer weiter ...Shadowrun

Mein Leben in den Schatten

Die Erlebnisse des Galen Knightsbride

Teil II - Deutschland 2052 A.D.

© by Karsten Flott

Rettet meine Schieberin!, MurderMedia

6.07.2052

M

it Zeitverschiebung um 8.00 am kamen wir am Hamburger Flughafen an. Es war das zweite Mal, dass ich nach Hamburg geflogen war, und der Eindruck von damals war genau der gleiche gewesen: obwohl es mitten im Sommer war, wehte in Hamburg eine Steife Brise von Nordwesten, die Wolken zogen über den Himmel und man musste jeden Moment mit einem Schauer rechnen. Ich hatte schon bei meiner früheren Reise Bekanntschaft mit dem öligen ätzenden Regen von Hamburg gemacht, deshalb war ich nicht unbedingt scharf darauf, dieses Erlebnis noch einmal zu wiederholen.

Wir kamen unbehelligt durch Zoll und Passkontrolle, Gott (und Carl, meinem Schieber) sei Dank! Mit einem Taxi fuhren wir nach Geesthacht und ließen uns vom Fahrer ein Hotel empfehlen, in dem man gut schlafen und essen konnte. Keinesfalls hatte ich Lust darauf, noch einmal diese billigen Schlafcontainerhallen aufzusuchen, in denen man sich in seinen eigenen zwei Quadratmetern kaum drehen konnte und auch ansonsten keinen Komfort hatte. Außerdem planten Nelly, Alexej und ich, den Teleportationszauber weiterzuentwickeln, den wir ja auch schon gemeinsam begonnen hatten, und dafür war ein gewisser Raum nun einmal nötig.

Unser Hotel („Unter der Elbe“) lag nur einen Katzensprung vom Störtebecker entfernt, der Kneipe, in der Murphy und ich damals Iceman getroffen hatten, den Decker, der uns eine große Hilfe gewesen war. Ich plante, ihn auch diesmal wieder um Hilfe zu bitten, denn er war der einzige, den ich überhaupt in diesem Land etwas näher kannte, und wenn er mir die nötigen Connections verschaffen konnte, um so besser... Der Wirt kannte Iceman nicht, er war wohl schon lange nicht mehr dagewesen. Er versprach mir aber, nachzuforschen, ob er sich nicht irgendwo in der Nähe aufhielt.

Alexej und Willy brachen am Spätnachmittag auf, um irgendeine Sache aus Alexejs Vergangenheit zu regeln. Wir wünschten den beiden viel Glück. Nur im Notfall wollten wir einander anrufen.

Gegen Abend gingen Nelly, Lena und ich dann alle zusammen ins Störtebecker, um zu sehen, ob er nicht schon etwas herausgefunden hatte. Er gab mir eine Adresse in Geesthacht, deren Telekomnummer jedoch out of date war. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns einen Wagen zu besorgen. Obwohl ich zuerst einen Mietwagen im Sinn hatte, überlegte ich mir ob des horrenden Preises doch schnell etwas anderes: ich kaufte einen spottbilligen, umgebauten BMW i985-24, ein sportlicher Viersitzer, der schneller war als jeder Eurocar Westwind, wie uns der Verkäufer versicherte[1]. Ich würde ihn jedoch noch mit einer Fahrzeug-Steuereinrichtung und diversen Halterungen für Hardware versehen müssen, damit er optimal von Lena gefahren werden konnte. Wir fuhren zu der Adresse, die uns der Wirt gegeben hatte, und schellten. Es meldete sich leider nicht Iceman, sondern jemand anders. „Wer ist da?“ fragte die fremde Stimme durch den Lautsprecher. „Mein Name ist Mag, ich bin ein Freund von Iceman. Ist er nicht zu Hause?“ „Iceman ist nicht da. Was wollt ihr von ihm?“ Der Troll aus dem Underground ´93 hätte gesagt: „Haufenweise stinkender Drek!“ Ich aber erinnerte mich rechtzeitig an meine Manieren und sagte nur: „So ein unglücklicher Zufall. Wenn er nicht da ist, weiß ich nicht, was ich machen soll.“ „Er hat eine Reise angetreten. Wieso, worum geht es denn?“ fragte die Stimme nicht unfreundlich. „Das möchte ich lieber nicht an der Tür besprechen.“ „Wie wäre es, wenn ihr heraufkommt?“ Der Summer öffnete die Tür. Wir schlüpften in die Stille des Treppenhauses und gingen nach oben. Kameras überwachten das gesamte Gebäude und folgten unseren Bewegungen. Schien ein ängstlicher Mensch zu sein. Aber warum hatte er uns dann hereingelassen? Als wir vor Icemans Wohnungstür ankamen, öffnete sie sich. „Kommt doch herein,“ sagte ein etwa wie Mitte zwanzig aussehender Mann mit fester Stimme. Er war dunkelblond und trug einen gepflegten Vollbart, war nicht viel kleiner als ich und hatte ein Hemd an, das ihm locker um seinen hageren Körper hing. Was mir besonders auffiel, waren seine abstehenden Ohren. Ich blinzelte und begann, seine Aura zu askennen. Noch bevor mir auffiel, dass er keinerlei Cyberimplantate trug, sah ich, dass er die Gabe hatte. Seine Aura strotzte geradezu vor blitzender und knisternder Energie. Dann war er also Magier, ein hermetischer Magier. So ein Zufall. 

„Mein Name ist Eppstein. Alfred Eppstein. Dürfte ich nach Ihren Namen fragen?“ sagte er in gebrochenem Deutsch. Mit seinem Akzent schien er ein Landsmann von mir zu sein. „Mein Name ist Mag, und dies“ - ich deutete auf meine beiden Begleiterinnen - „sind Nelly und Lena.“ Die beiden nickten und lächelten ihr Hasch-mich-ich-bin-der-Frühling-Lächeln. Der Typ musste denken, dass ein Kerl zusammen mit zwei hübschen und noch dazu blutjungen Ladys nur ein Zuhälter sein konnte. „Sie sind kein Deutscher, oder?“ fragte ich. „Nein, in der Tat, ich bin Engländer, lebe aber schon einige Zeit hier.“ „Na dann,“ sagte ich auf gut amerikanisch, „müssen wir es uns ja nicht schwerer machen, als es ist.“ „Oh, ihr seid aus den Staaten, U.C.A.S., wenn ich mich nicht täusche.“ „So ist es. Wir sind gerade erst angekommen und brauchen ein wenig Hilfe. Ich dachte schon: ´So ein Glück, dass ich jemanden in Hamburg kenne, der mir weiterhelfen kann!´ Jetzt sieht es aber ganz danach aus, als ob wir ziemlich auf der Straße stehen.“ Alfred machte eine einladende Handbewegung in Richtung Wohnzimmer. „Legt erst mal eure Klamotten ab und kommt herein. Wollt ihr etwas trinken, einen Tee oder so?“ Mein Gott, war der vertrauensselig. Kein Wunder, dass so viele Raubüberfälle passierten. Aber vielleicht war das in Deutschland ja anders. Er schien jedenfalls nicht direkt Angst zu haben, als Nelly, Lena und ich unsere Mäntel an die Garderobe hingen und unsere Waffen zum Vorschein kamen. Ich lehnte meine H&K an den Schirmständer, der einer Milchkanne nachgeformt war. Seinem verblüfften Gesichtsausdruck nach hatte er sie in dem Tarnhalfter unter meinem Sicherheitsmantel vorher nicht bemerkt.

Das Wohnzimmer war mit einer Kunstledercouch und drei Sesseln, einer Vitrine mit Spirituosen und Gläsern, einem niedrigen Tisch aus Glas, zwei Bildern eines Pop-art-Künstlers und dem obligatorischen Trideoschirm möbliert. Zwei Stehlampen strahlten auf die weiß getünchte Decke und tauchten das Zimmer in ein gemütliches Licht. Alfred verschwand durch einen mit einem Vorhang halb verdeckten Durchgang in die Küche und werkelte darin herum. „Setzt euch doch,“ rief er aus dem Raum herüber. Ich bedeutete Lena, ihn in der Küche zu beobachten - man wusste ja nie. Als er jedoch mit frisch aufgebrühtem Tee und ein paar Flaschen Bier ankam, schwand mein Misstrauen allmählich. Der Junge war zwar noch etwas grün hinter den Ohren, aber er war unsere einzige Chance, in Deutschland zurechtzukommen.

„Alfred, wir wollten eigentlich zu Iceman, weil wir einige Ausrüstungsgegenstände brauchen. Da er der einzige ist, dem wir hier vertrauen können, ist die Lage natürlich ziemlich hoffnungslos.“ Ich ließ die Endgültigkeit meiner Worte ein wenig wirken, bevor ich weitersprach. „Was machst du überhaupt in Icemans Bude?“ „Ich bin hier, solange er verreist ist. Außerdem muss ich mich verstecken, weil jemand hinter mir her ist.“ Murphy hätte ihn jetzt gefragt: „Gibt´s da´n Kopfgeld für dich, Chummer?“ Ich fragte: „Wer ist hinter dir her und aus welchem Grund?“ „Keine Ahnung, wer. Ein paar Chummer von mir haben versucht, einen Gefangenen aus einem Konzerngefängnis zu befreien. Sie sind alle draufgegangen. Als ich das hörte, hab´ ich mich schnell hierher zurückgezogen. Iceman hatte mir seine Schlüssel dagelassen, damit ich ab und zu seine Blumen gieße und nach dem Rechten sehe. Wenn die Konzerntypen wissen, dass ich von dem Run weiß, suchen sie mich bestimmt.“ ´ Warum hast du uns dann hereingelassen? ´ wollte ich schon fragen, unterließ es dann aber. „Ice hat hier doch sicherlich eine Matrixverbindung. Lena, würdest du bitte feststellen, was von dem Run bekannt ist?“ Leider wusste Alfred nicht viel mehr, konnte sich auch nicht an den Namen des Gefangenen erinnern. Lena fand leider nichts über den Run, konnte mir aber ins Ohr flüsternd versichern, dass kein Kopfgeld auf einen Alfred Eppstein ausgesetzt war. „Tja, die Angaben sind ein bisschen dürftig, Alfred,“ meinte ich. „Ich mache dir einen Vorschlag: wir drei schützen dich, solange du in Gefahr bist, und du hilfst uns dafür als ´Fremdenführer´ und mit ein paar Connections.“ Alfred war nach kurzem Überlegen einverstanden. Ich musste jetzt alles auf eine Karte setzen. Wenn er uns blind vertraute, konnte ich ihm auch entgegenkommen. Falls alles eine Falle war, gingen wir vielleicht dabei drauf. Hohes Risiko, aber welche Chance hatten wir sonst? „Ich brauche einen Schieber, der mir eine neue SIN besorgen kann, sowie ein Katana. Und es wäre praktisch, wenn er etwas über eine Eve Donovan herausfinden könnte, die vor einem Monat hier eingeflogen ist, und in Verbindung mit Ares Macrotech steht.“ Ohne zu zögern griff er nach seinem Telekom und rief einen Typen an, der nicht fragte warum oder woher - konnte nur ein Schieber sein. „Hast du alles, Elwan? Nein, es soll eine SIN ohne Retinasicherung sein. Ob ich die Kohle hab, fragst du? Mann, würde ich sonst bei dir anrufen?... Ja, o.k., ich komme mit ihm vorbei.“ Er legte auf und schaute mich an. „Elwan sagt, dass er die SIN innerhalb von zwei Tagen besorgen kann, das Katana ist kein Problem, und nach deiner Eve erkundigt er sich.“ Dann war ja alles in Butter. Wenn alles so klappte, wie ich es mir vorstellte, würden wir in zwei Tagen mehr wissen. Hoffentlich war es dann nicht zu spät.

Wir kamen überein, dass wir die Nacht bei ihm verbringen würden, um unseren Teil der Vereinbarung einzuhalten, und so fuhr ich allein mit dem BMW los, um unsere Sachen aus dem Hotel abzuholen und die Zimmer abzubestellen. Der Autopilot des Wagens funktionierte prächtig und brachte mich sicher ans Ziel. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich hätte machen sollen, wenn er nicht funktioniert hätte. Der Poitier verlangte von mir, dass ich unsere Rechnung für eine Nacht bezahlte, auch wenn wir gar nicht im Hotel schliefen. Noch dazu forderte er einen geradezu unverschämten Preis! Wie hatte Alexej sich nur darauf einlassen können? „Dann nehme ich unser Abendessen aber mit, schließlich bezahle ich auch dafür,“ meinte ich aufgebracht. „Bitte lassen sie es mir einpacken!“ Der Portier stutzte zwar einen Augenblick, aber war schließlich einverstanden. Erst im nachhinein bemerkte ich, dass er mir den Betrag in DM abgerechnet hatte. Ich war jedoch von Nuyen ausgegangen. Der derzeitige Kurs stand bei ca. 1¥ = 2 DM, was die Übernachtung dann doch nicht gerade teuer machte. Na ja, was sollte es? Die anderen würden sich jedenfalls über etwas essbares freuen.

7.07.2052

G

egen Morgen rief Alfreds Schieber an und brachte uns eine Nachricht über Eve: „Nachdem sie hier in Hamburg gelandet ist, hat sie sofort mit Mitsuhama Kontakt aufgenommen. Der Kon hat ihr den Auftrag erteilt, einen Run gegen eine unbekannte Firma durchzuführen. Wie es aussieht, sind bei dem Run aber alle, also Donovan und die Leute, die sie engagiert hat, umgekommen. Bis auf die Tatsache, dass der Run nicht in Hamburg selbst gelaufen sein soll, habe ich aber nichts mehr herausfinden können. Sieht nicht so gut aus für deine Freundin, Chummer. Tut mir leid.“ Merkwürdigerweise ließ mich diese Hiobsbotschaft ziemlich kalt. Es konnte sich nur um eine Falschinformation handeln. Ich weiß nicht, ob das in diesem Moment des Schocks nur einfach eine Trotzreaktion meines Unterbewusstseins war oder ob ich es irgendwie wusste oder ahnte, dass sie nicht tot war. Ich glaubte es jedenfalls keine Minute. „Das kann gar nicht stimmen,“ sagte ich ruhig. „Wer hätte sich sonst solche Mühe gemacht und uns von Eves Spur abbringen wollen, wenn sie tot ist? Denkt an die Bombe in den Barrens! Das kam doch nicht von ungefähr. Jemand will verhindern, dass wir Eve finden, und das macht nur einen Sinn, wenn sie noch lebt. Lena,“ sagte ich, ohne den Kommentar meiner Freunde abzuwarten, „schau doch mal, was du über Mitsuhama, Eve, ihre Runner und so weiter findest.“ Lena machte sich sofort an die Arbeit und war mehrere Stunden beschäftigt. Als sie wiederkam, zog sie eine Grimasse. „Rausgeworfen haben sie mich! Ich musste ziemlich schnell verschwinden, sonst hätten sie mich erwischt. Aber wenigstens“ - ihr Gesicht hellte sich auf - „konnte ich einiges erfahren. Deine Chummer, Alfred, sind alle als eliminiert aufgeführt. Sie haben einen Run gegen Mitsuhama Arbeitslager gemacht, um eine dortige Gefangene zu befreien, die aber namentlich nicht genannt wird.“ Mit einem Seitenblick auf mich fuhr sie fort: „Es scheint so, als hätte der Schieber recht, ich habe zwar nicht direkt etwas über Eve gefunden, aber wie es aussieht, hat Mitsuhama an Ares Macrotech eine Entschädigung für das Ableben einer entliehenen Agentin bezahlt. Das kann natürlich eine Täuschung sein, aber...“ Ich unterbrach sie: „Wie viel haben sie gelöhnt?“ „Wie bitte?“ „Wie viel Ares für Eve bekommen hat!“ Lena schaute in der kopierten Datei nach und sagte dann: „80000¥.“ „Ist ein bisschen wenig für eine Agentin von Eves Format, findet ihr nicht? Nein, nein, alles Quark, hier will uns jemand ganz gehörig verschaukeln.“ Die anderen schauten mich fragend an. „Und was machen wir jetzt,“ fragte Nelly. „Wenn du dir so sicher bist, dann hast du auch bestimmt eine Idee, wie es weitergeht.“ „Na klar habe ich das,“ sagte ich. „Ich werde eine kleine Reise auf die Metaebenen machen.“ Nelly fiel die Kinnlade herunter. „Du... willst was?“ „Nun hab dich nicht so, es ist alles nicht ganz so schlimm, wie es aussieht.“ „Die Reise machst du aber ohne mich, Chummer,“ sagte sie. „Ganz wie du willst. Wer begleitet mich statt dessen? Lena, o.k., du bist entschuldigt...“ „Wenn es dir so viel bedeutet, tu ich, was ich kann,“ meinte Lena aufseufzend. „Ich komme mit.“ „Was sind denn die Metaebenen?“ fragte Alfred. „Die Metaebenen sind ein Ort der Magie, Sphären des wahren Lebens, Domäne aller Geister und außerdem zuverlässige Informationsquelle für alle weltlichen und arkanen Fragen,“ antwortete ich ihm. Ohne lange zu zögern meinte er: „Ich würde dich gerne begleiten, glaube ich.“ „Du weißt nicht, worauf du dich dabei einlässt,“ sagte Nelly mit einem gequälten Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht. „Ach was,“ warf ich ein, „wieso, soll er nur mitkommen, ihm wird schon nichts passieren. Außerdem ist es für einen Magier ein ungeheures Erlebnis, mit auf einen solchen Trip genommen zu werden.“ Augenzwinkernd sagte ich zu ihm: „Du wirst Dinge sehen, von denen du vorher noch nicht einmal geträumt hast, mein Freund! Aber ich will dir nicht verschweigen, dass du ein enormes Risiko auf dich nimmst, denn du kannst, wenn nicht alles glatt geht, sogar sterben. Tja, so ist das nun einmal mit der höheren Magie.“ Nach kurzem Überlegen willigte er ein, und seine Augen brannten vor Neugierde. Es schien, als ob ich gerade einen potentiellen Interessenten für unseren Zirkel entdeckt hatte. Mal schauen, was Alexej dazu sagen würde. Und mal schauen, ob Alfred nicht die Lust verlor, wenn er erst einmal auf den Metaebenen gewesen war.

„Nelly, kannst du hier über uns drei wachen? Falls uns etwas zustößt, heile uns bitte. Außerdem habe ich, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer, wie ich es anstellen soll, dass die beiden mitkommen können.“ „Das wird dein geringstes Problem, Chummer. Du musst es dir nur einfach wollen, nichts weiter.“ Na gut, dachte ich, dann kann es ja losgehen. Wir drei legten uns auf die vorhandenen Polstermöbel und ich konzentrierte mich. „Schließt eure Augen,“ rief Nelly. „Mag, du musst dir jetzt ganz fest wünschen, dass ihr alle drei zu den Ebenen wechselt, ja... so! Noch ein bisschen mehr..." Ich strengte mich echt an und kam ins Schwitzen, weil es doch länger dauerte, als ich angenommen hatte, aber dann plötzlich sagte Nelly: „Da, du hast es geschafft. Öffnet eure Augen!“ Vor mir war ein flimmerndes Tor in die Dunkelheit entstanden, das wie ein Riss im Raum in einem Science-Fiction-Film die Dimensionen zu teilen schien[2]. Wir drei gingen hindurch, und dann war es schwarz um uns.

Wie immer kann ich nicht viel von den vielen verschiedenen Herausforderungen berichten, da sich meine Erinnerung trübt, aber ich weiß noch, dass ich zuerst eine Frage stellte: „Ist Eve Donovan noch am Leben?“ Die anschließende astrale Queste war sehr schwierig, da ich zwei „Mitreisende“ hatte, die ziemlich schnell am Ende ihrer Kraft (schließlich waren sie, wenn auch magisch aktiv, keine Initiaten) und daher eher ein Grund zur Besorgnis denn eine wirkliche Hilfe waren. Glücklicherweise gelang uns die schnelle Auffindung der Zitadelle der Ebene, so dass wir mit der Antwort zurückkehren konnten: „Eve lebt, aber ihr geht es von Tag zu Tag schlechter.“ Auch mussten wir keine Queste auf jeder elementaren Ebene durchführen (wovon ich zuerst ausgegangen war), sondern nur auf der des Wassers.

Das astrale Tor war während der ganzen Zeit (mehrere Stunden) offen gewesen[3] und schleuste uns zurück in die physische Welt. Nelly saß bei uns, als wir wieder Besitz von unseren Körpern ergriffen. Sie hatte die ganze Zeit über uns gewacht, und auch wenn sie nicht direkt in Aktion getreten war, um uns zu heilen oder unsere Körper gegen irdische Einflüsse zu schützen, war ich heilfroh, dass sie so lange ausgehalten hatte.

„Leider konnte ich keine schwierige Frage stellen, weil ich die beiden mit dabei hatte,“ sagte ich zu ihr, ohne dass die anderen uns hören konnten. „Aber immerhin wissen wir jetzt, dass Eve noch lebt.“ Nelly warf ein: „Aber wo ist sie?“ „Genau das wäre eine schwierige Frage gewesen, die mit erheblich größeren Gefahren auf der Ebene verbunden gewesen wäre. Undenkbar, das mit zwei Chummers auszuführen, ich hätte nur unnötig ihren Hals riskiert. Ich werde morgen noch einmal eine Queste durchführen.“ Ihr Gesicht wurde blass. „Und ich wäre sehr dankbar, wenn du wieder auf mich acht geben könntest[4], genauso wie heute.“ Sie schien sich zu fangen, und ihre Gesichtsfarbe wurde wieder normal. „Ich finde zwar, dass du da Glück nicht zweimal herausfordern solltest, aber da ich dich eh nicht davon abbringen kann, werde ich auf dich aufpassen, wenn du es wünschst.“

8.07.2052

Z

uerst dachte ich, dass ich träumte. Aber schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich es wirklich geschafft hatte. Ich war zurückgekehrt, zum zweiten Mal von einer Reise zu den Metaebenen innerhalb von nur zwei Tagen! Es war hart gewesen, härter als gestern, härter auch als die letzte astrale Queste zu meiner Initiation. Dass ich es geschafft hatte, hatte ich ausschließlich Nelly zu verdanken, die meinen Körper (und damit auch meinen Geist) geheilt hatte, als ich fast am Ende gewesen war. Es ging zwar schneller, als ich erwartet hatte, aber es war auch wesentlich schwieriger, mit den vielen Gefahren und Prüfungen fertig zu werden. Aber ich war für meine Bemühungen entlohnt worden und hatte den - zugegeben etwas rätselhaften - Satz „Eve ist in einem Gefängnis hier in Hamburg“ auf meine Questfrage[5] erhalten.

Lena durfte daraufhin wieder in der Matrix herumforsten, um festzustellen, in welchem Gefängnis Eve denn nun eigentlich war. Sie überprüfte alle hauptamtlichen Gefängnisse und fand nichts. Danach überprüfte sie auch alle Nebenstellen, Vollzugsanstalten und sonstige öffentliche Orte. Wieder nichts. „Schau doch mal bei Mitsuhama oder Ares nach, die haben doch konzerneigene Gefängnisse,“ kam mir die rettende Idee. Und tatsächlich, Lena fand etwas, zwar keine Eve Donovan, sondern eine gewisse Eva van Don, aber die Ähnlichkeit der Namen allein war schon Indiz genug. Sie saß bei Mitsuhama Arbeitslager ein, angeblich eine Holländerin, ohne Zweifel eine Tarnung, die Eve hier aufgebaut hatte. Lena hatte gründlich gearbeitet und es hatte sich herauskristallisiert, dass der Run von Alfreds Chummers gegen eben dieses Arbeitslager lief und zum Ziel die Befreiung dieser Eva van Don gehabt hatte.

Als Lena den anderen das Ergebnis ihrer Suche mitteilte, ließ Alfred sie nicht ausreden. „Den Namen kenne ich!“ Er war auf einmal ganz aufgeregt. „Wo hab ich den schon gehört...“ Er überlegte und seine Stirn kräuselte sich. „Eva van Don, Eva van Don... ich hab´s!“ strahlte er uns an. „Das ist genau die Frau, die von meinen Chummers befreit werden sollte!“ Na toll! Dafür hatten wir zwei Tage gebraucht! „Konnte dir dieses winzigkleine Detail nicht schon gestern eingefallen sein?“ rief ich aufgebracht. „Da spricht man den ganzen Tag von nichts als von Eve Donovan, und dann so was! Genau das hat Lena jetzt über die Matrix herausgefunden, Alfred, genau das. Zwei astrale Questen waren nötig, um uns diese Info zu besorgen, du selbst wärst dabei fast draufgegangen, und du wusstest es die ganze Zeit?!“ Ich versuchte, meinen Ärger wieder unter Kontrolle zu bringen. Es half nichts, sich jetzt noch darüber aufzuregen. Ich räusperte mich und sagte dann zu dem rot gewordenen und ziemlich schuldbewusst aussehenden Alfred: „O.k., vergiss es einfach und sag uns das nächste Mal sofort, was Sache ist[6]. Tut mir leid, dass ich dich angeschrieen habe.“ Schadete nichts, wenn er ein paar Streicheleinheiten bekam. Schließlich brauchten wir ihn noch.

Am Nachmittag trafen wir uns mit Alfreds Schieber in „Pauls Bierpumpe“, einer etwas gammeligen Bar in Geesthacht-Mitte. In einem rauchigen Hinterzimmer, das offensichtlich sonst für Glücksspiele reserviert war (es stand ein zur Seite geschobener Roulettetisch an der Wand) bekam ich sowohl Pass als auch Waffe. 50500¥ kostete mich der Spaß[7]! Teurer ging es kaum noch, dabei galt der Pass nur für Deutschland und war nicht retinasicher. Aber sei’s drum, ich konnte mir meinen Schieber (noch) nicht aussuchen.

Gegen Abend unternahm Lena noch einen Versuch, etwas über das Arbeitslager von Mitsuhama herauszufinden, erhielt aber nur 2 Mp Daten über Eva von Don. Außerdem bekam sie einen Hinweis darauf, dass irgend jemand aus Eves Gruppe ein Verräter gewesen war. Frage war nur, wer? Leider konnte sie keine Grundrisszeichnungen und Sicherheitspläne des Gebäudes mitbringen, weil „dieses verdammte Termitenprogramm den Datenspeicher zerstückelt hat! Und - ahem - ich habe den roten Alarm ausgelöst. Hoffe, da kommt nichts hinterher. Aber eigentlich müsste ich mich rechtzeitig ausgestöpselt haben.“ Ich war da nicht so sicher. Bei so einer Sache wusste man nie, wer einem hinterher war - in Seattle zumindest hatten wir einen ganzen Pulk von Leuten auf den Fersen gehabt, die höchstwahrscheinlich alle von Mitsuhama kamen, sonst wäre die Geschichte mit der Cortexbombe nicht passiert. Es konnte immerhin sein, dass wir unter Beobachtung standen, wenn unsere Spur auch ziemlich schwer zu verfolgen gewesen war.

Ich durchsuchte die Daten über Eve und erfuhr einiges Interessantes: Sie wurde in Bern geboren, in der Schweiz also, und ihre Eltern wurden während eines Rassenaufstandes von einem Mob totgetrampelt, als sie sechzehn war. Sie zog nach Stuttgart um, nachdem sie sie verloren hatte und wanderte mit zwanzig nach Übersee aus. Eve war inzwischen schon vierzig Jahre alt! Niemals hätte ich geglaubt, dass mein Sinn mich so täuschen könnte. Sie sah so jung aus, weil sie nach einem Run in Atzlan komplett neu zusammengeflickt wurde. Sie trug zwei Cybergliedmaßen, die jedoch keine besonderen Eigenschaften hatten; sie hielt nichts von Cyberware und verließ sich lieber auf sich selbst. Schon lange arbeitete sie für Ares Macrotech, und ihre Loyalität gegenüber dem Konzern war laut Datei „überdurchschnittlich“, für Runnerbegriffe also fanatisch. Trotzdem sah es so aus, als ob Ares Eve an Mitsuhama verkauft hatte. Ob damit eine Schuld beglichen werden sollte? Ich tappte ziemlich im Dunkeln. Außerdem stand in der Datei, dass Eve ein emotionsloser Typ Mensch sein sollte, um nicht zu sagen, total kalt. Das war mir allerdings ganz anders erschienen...

Nach der stundenlangen Herumleserei wollte ich mich doch einmal dort umschauen, wo wir Eve vermuteten: in der Nähe des Mitsuhama Arbeitslagers Hamburg. Es lag ein paar Meilen östlich der Stadt, daher gab ich meinen Körper in die Obhut meiner Chummer und ging in den Astralraum. Da fiel mir etwas ein. Wenn ich schon in den Astralraum ging, konnte ich sofort zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich hatte ja schon an anderer Stelle einen bestimmten Verdacht angedeutet und wollte ihn jetzt überprüfen. Ich sah mir Nellies Aura genau an... da war etwas eigenartiges... ja! Ich konnte jetzt hinter ihre Maske sehen! Sehr geschickt getarnt, völlig unauffällig, wenn man nicht genauer hinsah. Nelly war kein Mensch, sondern in der Tat ein Geist. Und zwar ein ziemlich mächtiger Geist von der elementaren Ebene des Feuers[8], wenn ich die Zeichen richtig interpretiert hatte. Das war ein ganz schöner Hammer. Hatte sie uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt, diese kleine... aber ich konnte es ihr nicht übel nehmen, das diente nur ihrem Selbstschutz. Sie hatte mir bis dato schon ein paar Mal den Arsch gerettet und sich auch sonst als echter Chummer erwiesen, mal ganz abgesehen von ihrer attraktiven physischen Erscheinung. Wenn alle Geister so wären wie sie...

Ich beschloss, vorerst meine Klappe zu halten und die Sache bei passender Gelegenheit zur Sprache zu bringen. Also flitzte ich mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch den Astralraum zu Mitsuhama. Es lag mitten in der Pampa, wie man so schön sagt. Nur Gras und Sträucher, ein einzelner Weg, der zum Haupteingang führte. Vorsichtig pirschte ich mich an das Lager heran, und mit Recht, denn Vorsicht war geboten: zwei Elementare und vier Watcher patrouillierten die Gegend um den Zaun. Einfach hereinspazieren und nachschauen ging jetzt wohl nicht. Als ich wieder zurückkehrte, war ich ziemlich enttäuscht. Es tat sich kaum eine Möglichkeit auf, das Lager zu sondieren. Vielleicht konnte Lena morgen, wenn Mitsuhama keine so große Alarmstufe mehr aufrechterhielt, in der Matrix irgend etwas ausrichten. Nelly sprach ich übrigens nicht auf meine Entdeckung hin an; es würde sich eine andere Gelegenheit ergeben, ihr mitzuteilen, was ich über sie wusste.

9.07.2052

F

ür die Nacht hatte ich einen Watcher beschworen (wie alle meine Watcher war er weiblich, blond und kurvenreich), der mich auch prompt weckte, als er etwas Verdächtiges bemerkte. Ein anderer Watcher stand im Türrahmen und machte einen Heidenterz. Irgendwann, als ich ihn gefragt hatte, was er denn von mir wollte, sagte er: „Von meinem Meister soll ich dir ausrichten: `Lass es, Mag! Eve ist nicht für dich!`“ Schreck in der Morgenstunde, konnte man da nur sagen. Ich versuchte ihn zu sondieren, aber seine Herkunft konnte ich leider nicht feststellen. Statt dessen blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu bannen[9]. Danach weckte ich die anderen schnell und sagte: „Dieser Ort ist nicht mehr sicher. Wir müssen verschwinden.“ Wir fuhren mitten in der Nacht los, während ich erklärte, warum wir aufbrechen mussten. Die Wahrscheinlichkeit war zwar nicht sehr hoch, dass Mitsuhama etwas von unserem Aufenthaltsort wusste, schließlich konnte man Watcher auch einfach so losschicken, damit sie jemanden suchten, ohne dass man seinen genauen Standort kannte, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Schließlich, weil uns nichts anderes einfiel, ließen wir uns durch Alfreds Schieber eine Bude in einer verwahrlosten Gegend vermieten. Hier würde uns so leicht niemand aufspüren, denn immerhin sollten in der Nähe Ghule herumstreifen (oder zumindest sah es danach aus).

Ich zeichnete in den Innenhof einen hermetischen Kreis des siebten Grades, um unseren Aufenthaltsort vor astralen Verfolgern so lange als möglich geheim zu halten, während Lena in der Matrix von Mitsuhama einen Run hinlegte, der sich gewaschen hatte: ein Konzerndecker in Gestalt eines Quecksilberwesens mit einem Fuchi-6 wurde glatt von ihr besiegt, mal ganz zu schweigen von den unzähligen Ice, die dort herumschwirrten. Sie besorgte uns die Bauzeichnungen des Arbeitslagers, Zugangscodes und Liefertermine für die nächsten Tage. Eve saß in Zelle 4, Ebene J (10. Kellergeschoss)! Glatt unmöglich, sie da herauszuholen, denn über ihr in Ebene C, saß eine Einsatztruppe, die im äußersten Fall die unteren Geschosse fluten sollte, ohne Rücksicht auf Verluste. Wir überlegten, ob es nicht möglich sei, sie durch einen weiteren Matrixbesuch in eines der oberen Geschosse zu verlegen oder zur Gartenarbeit abzukommandieren...

10.07.2052

N

ach einer durch Wachwechsel unterbrochenen, jedoch erholsamen Nacht rief Alexej, der ja noch immer mit Willy unterwegs war, an: „Wenn ihr gerade auch nicht viel Zeit habt, ist es doch wichtig, dass ihr handelt, denn so eine Gelegenheit bietet sich nicht wieder. Mag, ich habe eine interessante Residenz gefunden: eine Burg in Franken, und zwar die, in der ich früher gewohnt habe, in der Nähe vom Konzil zu Marienbad. Leider kann ich selbst sie nicht kaufen, denn erstens habe ich Willy mein ganzes Geld geliehen, und zweitens ist der Besitzer nicht gut auf mich zu sprechen. Ich habe jedoch herausgefunden, dass er dringend das Land verlassen will und einen Abnehmer sucht. Da er unter Zeitdruck steht, hat er keine Wahl, er muss verkaufen. Biete auf keinen Fall mehr als 90.000¥.“ „Was soll das heißen, du hast dein ganzes Geld Willy geliehen? Wozu?“ Willy meldete sich statt Alexej: „Junge, ich kann jetzt alles! Mich kann nichts mehr umhauen.“ Oh nein, dachte ich, er hat ihm irgend etwas einbauen lassen. „Alexej, bist du verrückt? Gibst dein ganzes Geld für Willies Cyberware aus? Er hatte doch schon viel zu viel davon! Hättest ihm lieber eine ordentliche Waffe kaufen sollen! Wie viel Geld war es denn?“ „Na ja, so um eine Million herum.“ Da hatte ich keine Fragen mehr. Mir blieb ganz einfach die Spucke weg.

Nach einem kurzen Telefonat mit dem trollischen Besitzer der Burg bot sich Alfred an, per HeliTaxi zur Burg zu fliegen und sich die Sache einmal anzuschauen. Wie er mir später erzählte, war der Troll ein zäher Verhandlungspartner, aber immerhin schaffte Alfred es, ihn von seinen geforderten 200.000¥ auf 100.000¥ herunterzuhandeln, wenn er auch dafür die trollisch großen Möbelstücke in Kommission nehmen musste (was nicht mehr und nicht weniger hieß, als dass wir uns um die Entsorgung von dem ganzen Plunder kümmern mussten).

 Also hatten wir jetzt eine waschechte Burg gekauft(natürlich mit meinem Geld), die vor 30 Jahren nach dem Vorbild einer rheinischen Wasserburg erbaut worden war. Nicht ganz echt, das gute Stück, aber wohl mit Liebe zum Detail nachgebildet.

11.07.2052

W

ir hatten berechtigte Sorge, dass unser Wagen verwanzt war! Daher ließen wir uns über Alfreds Berliner Schieber[10] eine Schattenwerkstatt empfehlen, die uns bei dem Problem helfen konnte. Die Jungs aus Hamburg waren echt auf Zack. Sie fanden nach gründlicher Untersuchung tatsächlich eine Wanze. Frage war nur, warum uns mit dem Sender niemand in unserem letzten Unterschlupf besucht hatte. Vielleicht hatte die Wanze den Geist aufgegeben oder so. Jedenfalls hatte ich große Lust, diesem Pferdehändler von einem Autoverkäufer zu zeigen, wo der Hammer hing. Wenigstens wusste ich jetzt, warum der Wagen so günstig gewesen war. Wir machten einen Deal mit der Schattenwerkstatt: sie besorgten uns einen Kampfbulli oder so etwas ähnliches, und wir gaben ihnen dafür diesen umgebauten Sportflitzer. Keine Frage, dass sie von der Idee hellauf begeistert waren. In ca. einer Woche wollten sie einen vollgeriggten Wagen mit Panzerung und Hardpoints[11] auftun.

Leider waren wir mit der Entscheidung, ob wir einen Befreiungsversuch unternehmen sollten, noch kein bisschen näher gekommen.

Alexej und Willy, dem tatsächlich Talentleitungen eingebaut worden waren, kehrten am Nachmittag zurück. Wir erklärten ihnen, was geschehen war und checkten die Situation um das Arbeitslager herum ab: es war kaum ein Durchkommen möglich, sowohl der magische als auch der Matrix-Schutz war extrem hoch. Lena konnte eine weitere unliebsame Begegnung mit dem Quecksilber-Decker nur durch rasches Ausstöpseln verhindern.

Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass es besser sei, die Aktion zu verschieben, bis der Teleportationszauber, den ich zusammen mit Nelly und Alexej entwickelte, endlich fertig war, denn dann konnten wir die Befreiung ganz anders angehen, nämlich rein magisch, was mir sowieso am liebsten war. Was die immer schwächer werdende Eve anging, so beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass man meine Erkenntnis aus der Metaqueste auch dahingehend deuten konnte, dass ihr geistiger Widerstand brach und sie deshalb immer schwächer wurde. Wir hatten keine Chance, das war mir klar. Vielleicht konnten wir es schaffen, Eve zu befreien. Aber uns der Verfolgung dieses Riesenkonzerns Mitsuhama zu entziehen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Normalerweise machte niemand Jagd auf Runner, weil sie ja nur Bauern im Spiel der Mächtigen waren. Arbeiteten sie dagegen auf eigene Faust, so sah die ganze Sache schon etwas anders aus. Wir hatten keinerlei Rückversicherungen, kein Konzern, der hinter uns stand, nichts. Vielleicht hätten wir sie wirklich befreit, aber es wäre nur eine Frage der Zeit, bis man uns erwischt hätte. Ging ich jedoch mit einem Spruch in das Arbeitslager, der mir erlaubte, aufzutauchen und zu verschwinden, ohne dass jemand etwas davon mitbekam, hatten wir viel bessere Karten in der Hand.

Momentan saßen wir immer noch in dieser Bruchbude, die uns Alfreds Schieber besorgt hatte. Das sollte sich jedoch ändern. Schließlich hatte ich gerade eine Burg gekauft. Ich musste seufzenden Herzens meinen hermetischen Kreis, den ich in so mühevoller Kleinarbeit gezeichnet hatte, wieder wegwischen, weil er sonst als stoffliche Verbindung zu mir hätte dienen können.

Wir zogen also um, bestellten uns ein HeliTaxi für zwölf Mann (kleinere gab es für unsere Gruppe nicht) und flogen nach Süden. Kurz vor der Ankunft bekam Lena wider einen ihrer traumatischen Anfälle und versuchte, einen Feuerball zu werfen (nehme ich an), erlitt dabei starken körperlichen Schaden. Voller Sorge heilte ich sie schnell und versuchte, mit ihr zu sprechen, aber sie wollte nicht mit der Sprache herausrücken.

Nach der Landung, während sich die anderen die Umgebung und die Burg selbst anschauten, zog ich sie zur Seite und während eines Spaziergangs erzählte sie mir ihre Geschichte, die ich ja teilweise schon von Nelly kannte. Den Anfall eben habe sie wahrscheinlich bekommen, da sie zurück an den Ort ihrer Qual gelangt sei. Nirgendwo anders als auf dieser Burg habe nämlich Alexej versucht, ihre Aura zu „entzaubern“, und hier sei das auch auf so schreckliche Art und Weise misslungen. Ihre Aura nämlich war so korrumpiert und entstellt, dass sie ganz plötzlich, bei besonderen emotionaler Belastung zum Beispiel, außer Kontrolle geriet und begann, selbständig Zauber zu wirken. Ich bohrte so lange, bis sie endlich ihre letzten Mauern einstürzen ließ und sie mir erzählte, dass sie furchtbare Angst hätte, weil sie eine Gefahr für uns alle sei und so verzweifelt, dass sie alles dafür tun würde, von diesem grässlichen Schicksal erlöst zu werden. Und sie begann zu weinen. Wenn irgend etwas eine sentimentale Seite in meiner Seele regen konnte, dann gewiss die Tränen einer Frau (besonders wenn sie so schön war wie Lena). Ich tröstete sie und versprach ihr, dass ich mich, wenn der Run gelaufen sei, nach Leibeskräften bemühen würde, ihr zu helfen, dass es aber wahrscheinlich sei, dass ich nur ihre Aura wiederherstellen könne, wie sie früher gewesen war, als sie noch magisch aktiv war. Außerdem würde ich bestimmt die Hilfe von Alexej in Anspruch nehmen. Aber das war ihr alles egal. Hauptsache, sie konnte wieder ein halbwegs normales Leben führen.

Nachdem wir zurückgegangen waren, askennte ich die Burg und die Umgebung und hatte Zeit, mir alles einmal richtig anzuschauen.

Die Burg lag direkt am Rande einer Felsenklippe, die im Westen acht Meter steil abfiel. Sie gliederte sich in zwei Teile, eine Hauptburg und eine durch einen Wassergraben von ihr getrennte Vorburg. Beide Teile wurden ihrerseits von einem Wassergraben umgeben, außerdem von einem Palisadenzaun auf einem Wall um den Graben. Der Zaun wirkte wie echtes Holz, bis man ihn berührte. In Wahrheit war es irgend eine Metalllegierung, die echtem Holz täuschend ähnlich nachgebildet war. Der Wassergraben wurde von einem kleinen Fluss gespeist, der, nachdem er die Burg umrundet hatte, sich die Felsenklippe hinab in einem tosenden Wasserfall in die Ebene rings um die Burg ergoss. Beide Burgen hatten Zugbrücken, die von den Zinnen bzw. dem Torhaus am Eingang der Burg heruntergelassen werden konnten; dabei verband eine der Zugbrücken Haupt- und Vorburg miteinander. Sämtliche Außenwände der Burg waren weißgetünchtem Mauerwerk nachempfunden; an Hausecken traten ornamental die Ecksteine braungrau heraus. Ich will nun beschreiben, wie ein Neuankömmling, der ich ja war, die Gebäude wahrnahm, wenn er durch die Burg schlenderte.

Zuerst kam ich an ein großes, zweiflügliges Holztor, das zu dem Palisadenzaun gehörte. Dann ging man über einen Steg und den an dieser Stelle fast sieben Meter breiten Wassergraben auf die herabgelassene Zugbrücke. Unter dem hochgezogenen Fallgatter des dreiteiligen Torhauses hindurchgehend, konnte man einen ersten Blick auf den Hof dahinter werfen. Die birnenförmige Vorburg setzte sich aus vier Gebäuden zusammen, die untereinander mit zweieinhalb Meter hohen Mauern verbunden waren. Das erste war das Torhaus, unter dem ich gerade hindurchgegangen war. Es war eigentlich ein viereckiger Turm mit Giebeldach, an dessen Flanken sich zwei etwa vier Meter lange kleinere Gebäude anschlossen. Das Tor führte durch den Turm, der nur um zwei Meter höher als die Flügel war. Auf dem kopfsteingepflasterten Hof angelangt, lag zu meiner Rechten der erste Wehrturm, der die südliche Flanke der Vorburg schützte. Man hatte ihn so gebaut, dass das Spitzdach einfahrbar war und auf der Plattform ein mittelgroßer Helikopter landen konnte. Zu meiner linken sah ich ein freistehendes Gebäude, dass wohl Scheune und Pferdestall sein sollte; zwei große Tore boten Platz für Fahrzeuge. Rechterhand, an den Turm gegliedert, folgte das Gesindehaus, das ungewöhnlich langgezogen war, sicherlich 15 Meter bei einer Breite von drei Schritt. Am Ende des Gesindehauses lag der Zweite Steg für die Zugbrücke zur Hauptburg, bewacht von einem kleinen Türmchen. An der Zugbrücke angelangt, bot sich mir ein imposantes Bild: fünf Meter hohe Mauern, gekrönt von holzverschalten Wehrgängen (ebenfalls täuschend echt) erstreckten sich zwischen vier mächtigen Türmen, die sicherlich doppelt so hoch waren und das Hauptgebäude umschlossen, das thronend alles andere überragte. Das Haupthaus war quadratisch angelegt, zwölf Meter im Quadrat, und hatte drei Geschosse plus Dach. Im obersten Geschoss ragten vier kleine Ecktürmchen nach oben, was dem ganzen ein sehr pittoreskes Flair verlieh. Ein Kamin ragte aus dem Steildach heraus, direkt unterhalb der höchsten Spitze, die sicherlich 15 Meter über dem Boden lag.

Wenn man sich die Burg so ansah, wie sie sich im Wasser spiegelte, umgeben vom Grün der Wiesen und dem Blau des Himmels, und dabei die würzige Luft atmete, fühlte man sich fast in die Zeit vor der Erfindung der modernen Tötungsmaschinerie versetzt, als stolze Ritter in glänzender Rüstung für die Ehre ihrer auserwählten Damen Turniere miteinander bestritten... Es war wirklich idyllisch. Ein Ort zum Entspannen und sich erholen, ganz etwas anderes als das hektische Hin und Her der Stadt und des Schattendaseins.

Astral erkundete ich auch den Rest der Burg, besonders der Keller unter dem Hauptgebäude stellte sich als sehr interessant heraus: das unterste Kellergeschoss war wie ein Hexagramm geformt und beherbergte in einem Flügel ein Labor und eine Verzauberungswerkstatt hinter einer von einem Zauberspeicher aufrechterhaltenen Illusionsmauer. Mit Sicherheit das Werk von Alexej, denn wenn der Troll etwas von diesem Schätzchen gewusst hätte, hätte er es nicht hier gelassen.

Nach meiner gründlichen Untersuchung, die mehrere Stunden gedauert hatte, war es dann auch schon tiefe Nacht, und ich haute mich in eins der übergroßen Betten.

12.07.2052

D

as erste Mal seit Tagen hatten wir gut und vor allem ruhig geschlafen. Die Betten des Trolls waren zwar etwas muffig und viel zu weich, aber man lag in ihnen wie auf Wolken. Besonders Willy wollte gar nicht wieder aus dem Bett, bis wir ihn alle gemeinsam mit einem gebrüllten „Guten Morgen!“ und einem Eimer Wasser aus den Federn holten[12].

Während Alexej aufbrach, um wieder einmal seiner eigenen Wege zu gehen, suchte ich mir einen geeigneten Ort, um meinen Spruch weiterzuentwickeln. Ich wählte den Südostturm der Hauptburg als mein Domizil und richtete mir das erste Kellergeschoss als Arbeitsraum ein. Die anderen besorgten für 10.000¥ eine Einrichtung, die uns einen angenehmen Lebensstandard ermöglichen würde.

13.07.2052

A

lfred entpuppte sich als wahres Organisationsgenie: ich bekam es zwar nur bei meinen unregelmäßigen Essenpausen mit, aber er machte und sorgte, dass alles so sein würde, wie wir uns das vorgestellt hatten. Außerdem, erzählte er mir, fand er die Zeit, Streifzüge durch die Gegend zu machen und die Flora und Fauna der Heide und des benachbarten Wäldchens zu erkunden[13].

14.07 bis 20.07.2052

I

ch war weiterhin mit der Spruchentwicklung beschäftigt, wobei mir Nelly eine große Hilfe war. Währenddessen hatte Alfreds Berliner Schieber Lena einige Programme für ihr Cyberdeck besorgt, Alexej meldete sich und teilte uns mit, dass er ein paar Runner organisiert habe, die aber leider keinen Helikopter zur Verfügung hätten, und Willy und Alfred holten aus Hamburg den von der Schattenwerkstatt aufgemotzten VW Superkombi III ab. Glücklicherweise passierte ihnen nichts auf der Straße, denn den Rückweg mussten sie fahren. Außerdem hatte ich es angeleiert, dass Willy eine Hubschrauber-Talentsoft (18.000¥) für sein neues Cyberimplantat bekam.

21.07.2052

E

eeeve!“ Mit diesem Schrei fuhr ich von meinem Schreibtisch auf. Ein Schmerz erfüllte meinen Schädel, als ob hundert Murphies mit ihren Sturmkanonen auf ihn ballerten. Das war ein Hilfeschrei von ihr gewesen, ganz eindeutig. Ich askennte die Umgebung, fand jedoch nichts. Was war passiert? Man hatte ihr fürchterlich weh getan, soviel war sicher. Vielleicht war sie sogar tot! Der Schmerz in meinem Kopf wurde dumpfer. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Vielleicht kam jetzt jede Hilfe zu spät! Ich musste mich beeilen mit dem Spruch. Ich beschloss, Alexej einen Zauberspeicher zu geben, damit er ihn mit seinem „Zeit Verlangsamen“-Spruch verzaubern konnte, dann würde die Entwicklung schneller gehen. Aber dazu musste er erst einmal wieder hier sein.

Zum Glück kam er schneller wieder als erwartet, nämlich an diesem Nachmittag. Ich wollte ihm gerade meine Bitte mitteilen, als das Gespräch auf die Burg fiel. Eigentlich hatte ich sie für ihn gekauft, weil er ja sein Geld für Willy verpulvert hatte. Aber er entgegnete nur: „Ich habe nie gesagt, dass du sie für mich kaufen sollst. Nein, ich will sie auch gar nicht. Ich sagte dir nur, dass es ein günstiges Schnäppchen sei, sie jetzt zu kaufen, nicht, dass ich dir irgendwann das Geld schon geben würde.“ Das war ja eine tolle Überraschung! So hätte ich ihn nicht eingeschätzt! Was sollte das? Erst den vertrauensvollen spielen, um einen dann tierisch über den Tisch zu ziehen? „Kann das sein, dass du dir gerne Freundschaften verdirbst?“ bekam er von mir als einzigen Kommentar zu hören[14]. Ich war maßlos enttäuscht. Nie wieder würde ich ihm blind vertrauen können, was ich bislang getan hatte. Na ja, es war besser, so über einen charakterlichen Fehler eines Chummers aufgeklärt zu werden als in einer anderen Situation, in der es vielleicht um mehr als nur um Geld ging. Jetzt jedenfalls brauchte ich dringend seine Hilfe, daher machte ich ihm keine allzu großen Vorwürfe. Außerdem lag da irgendwo in Prag noch ein Orichalkumschatz, dessen Standort nur er genau wusste... Ich machte gute Miene zum bösen Spiel.

Wir arbeiteten den ganzen restlichen Tag an dem hermetischen Kreis, der für den Zeitblasenspruch nötig war, und in mein Turmzimmer gezeichnet wurde, gut geschützt durch eine Auflage aus durchsichtigem Kunststoffbelag. Es wurde ein Geistsondekreis des fünften Grades, über den Alexej dann seinen Spruch legte, nicht ohnmächtig wurde und in einem meiner Zauberspeicher verankerte. Diesen, eine elfenbeinerne Würfelkette mit Planetensymbolen auf allen sechs Würfelseiten, fixierten wir dann mit einem Nagel unter dem Gewölbe des Kellerraums. Alexej meinte, dass der Zauberspeicher nur mit dem Tag und Nachtwechsel sichtbar würde, weil sich der Zauber dann erneuern müsste. Aktivieren und deaktivieren des Zauberspeichers würde ich könne, wenn ich den Spruch selbst auch nicht beherrschte, da ich Karma für die Bindung bereitgestellt hatte. In Zukunft würde ich in diesem Zimmer mit der doppelten Geschwindigkeit arbeiten können.

22.07.2052

A

lfred und die anderen organisierten die elektronische Installation der Überwachungsanlage, als gegen Mittag die Söldner mit einem Ares Dragon vor der Burg landeten. Ich selbst bekam erst gegen Abend etwas davon mit, als ich mich bequemte, etwas zu mir zu nehmen. Ich begrüßte jeden von ihnen mit Handschlag: den Troll Pep, seines Zeichens Alligatorschamane, der uns alle um mindestens 110 cm überragte, den Ork Kratzer, der mir ungewöhnlich hellhäutig für einen seiner Rasse erschien und Samurai war, wenn auch nur bedingt vercybert, die Orkin und (nun doch nicht fehlende) Hubschrauberpilotin Tigerweibchen[15], die einen furchterregenden Anblick bot: sie war vollkommen haarlos, hatte rote Tiger-Streifen im Gesicht und bestand zu 90% aus Implantaten, wenn man nach der Aura ging. Die vierte im Bunde war außergewöhnlich attraktiv und sprach meinen gesamten Hormonhaushalt an. Eine Elfe, schlank von Gestalt, etwas größer als ich, mit brünetten, langen Haaren und gluterfüllten Augen. Sie war Schlangenschamanin und gehörte -oh Wunder- zu unserem Orden! Wenn die anderen Mitglieder genauso schön waren, konnte es keinen besseren Initiatenzirkel auf der ganzen Welt geben. Außerdem hatte ich in unserem anschließenden Gespräch das bestimmte Gefühl, dass sie mich fürchterlich angraben wollte. Wir erzählten von dem Run auf das Mitsuhama Arbeitslager, und es stellte sich heraus, dass Tigerweibchen dort schon eingesessen hatte! Es war zwar schon fünf Monate her, aber was sie uns sagte, stellte trotzdem alles auf den Kopf, was wir bislang als gesicherte Info angenommen hatten. Nach ihrer Schätzung dürfte das Lager inzwischen höchstens drei Kellergeschosse haben, denn es würde noch daran gebaut, sie habe selbst daran mitgearbeitet. Demnach waren unsere Deckpläne also vollkommen falsch, und auch Eve konnte kaum im zehnten Kellergeschoss einsitzen. Man forschte außerdem daran, den Hochsicherheitstrakt gegen Magie abzuschotten und Cyberware funktionsuntüchtig zu machen. Sie selbst sei wegen unerlaubtem Waffenbesitz eingesperrt worden und man habe ihr relativ schnell Haftverschonung angeboten, wenn sie sich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellte. Daher war sie also so stark vercybert! „Nein nein, das hatte ich alles schon vorher drin,“ meinte sie, „die konnten nur noch eine Funkanlage in meinen Schädel implantieren. Sonst sei die Lebensfähigkeitsgrenze überschritten, sagten sie.“ Alles klar. Die Type war also vorher schon verstrahlt gewesen.

Leia, die Elfe, dachte sich auch nichts dabei, mich auf mein Zimmer zu begleiten und nach leichtem Vorgeplänkel zur Sache zu kommen und elfisch guten Sex mit mir zu machen. Ihre Schönheit ließ mich alles andere vergessen, und ich badete mich im Licht ihrer Aura. So eine Nacht hatte ich schon nicht mehr erlebt, seit ich aus Tir abgehauen war!

23.07.2052

M

orgens weckte mich Leia, als sie aufstand. Sie zog sich an und meinte halb über die Schulter: „Vielen Dank, Menschenjunge!“ Dann ging sie frühstücken. Soviel zu toller Frau, aber mit so etwas hatte ich schon halbwegs gerechnet. Am Frühstückstisch machte sie dann statt meiner Alfred schöne Augen. So ein Luder! Anscheinend musste sie wirklich jeden Mann ins Bett bekommen, um glücklich zu sein. Ich musste sie mal fragen, wie man so leben konnte. Ob sie wohl auch mit Kratzer oder Pep... ? Als ich Alexej gegenüber, der sie ja schon lange kannte, meine Bewunderung zum Ausdruck brachte mit den Worten: „Respekt für deine Willensstärke. Ich konnte ihren Reizen einfach nicht widerstehen.“ entgegnete er etwas drucksend: „Nun, ähm, weißt du, nicht dass ich sie nicht reizvoll fände, aber sie hat mich noch nie gefragt...“ Ich musste mich erst einmal ausschütten vor Lachen, was er mir, glaube ich, etwas übel nahm. Als ich mich gefangen hatte, gingen wir wieder in die Zeitblase und entwickelten den Spruch weiter. Wie es aussah, hatte er übrigens die Runner schon bezahlt[16]. Wir schafften es bis Mittag, den Spruch zu entwickeln. Bis zum Abend hatte ich ihn dann gelernt. Endlich konnte ich mich teleportieren (hoffte ich, denn eine Probe aufs Exempel musste noch folgen)!

24.07.2052

A

n diesem Mittwochmorgen ging es dann los. Wir verluden unsere Ausrüstung in den riesigen Transporthubschrauber, der mit allerlei Waffen und Raketen bestückt war, und flogen Richtung Hamburg. Allerdings machten wir eine Zwischenstation im Harz, wo wir uns ein lauschiges Plätzchen suchten, in einem Tal, das nur schwer mit Radargeräten zu erkunden war. Wir präparierten unseren Landeplatz mit einer eingegrabenen Granate, die uns per Fernzündung erlauben würde, den Landeplatz auch im Dunkeln wiederzufinden. Dann ging es weiter bis nach Hamburg. Kurz vor der Stadt, zwanzig Kilometer östlich vom Arbeitslager, beschwor Leia einen Landgeist, der uns fast vollständig verbarg und schützte. Mir fiel auf, dass sie viel leichter einen Geist beschwor und unter Kontrolle hielt als ich, sie brauchte nicht einmal Materialien dazu. Allerdings mussten wir bis zur Dämmerung warten, da er bei Tag und Nachtwechsel verschwand. Egal, ich hatte eh nicht geplant, am hellichten Tage in den Komplex einzusteigen. Wir flogen also weiter bis 3 km östlich des Lagers, wo wir Magier die Norms zusammen mit Leia zurückließen (ihr Totem verbot den Kampf). Sie dienten nur als Rückversicherung, falls etwas schief lief. Leia konnte zudem unsere Körper heilen, wenn wir verletzt wurden.

Wir „schlichen“ uns in der Deckung der Büsche an den Zaun heran und schlugen los, als wir die Geister um das Lager patrouillieren sahen. Ich flitzte zwischen ihnen hindurch, bevor sie merkten, wie ihnen geschah, und die anderen griffen sie daraufhin an, so dass sie mich nicht verfolgen konnten. Ich schoss durch das Lager und begann meine Suche nach Eves Aura im 3. Kellergeschoss, dem untersten. Dort fand ich nur einen Magier und sein Feuerelementar, nicht aber Eve. Nach kurzem Kampf hatte ich ihn schlafen geschickt (und drei beistehende Wachen ebenso) und den Geist gebannt. Ich suchte im ganzen Lager, aber Eve war nicht hier. Enttäuscht kehrte ich zurück, sah, dass meine Chummer noch lebten und wir verschwanden zum Hubschrauber. Magier oder Geister, die uns folgen konnten, gab es hier nicht mehr, jedenfalls keine einsatzfähigen.

Zum Hubschrauber zurückgekehrt, sah ich einmal ganz abgesehen von meiner Enttäuschung über den misslungenen Run, wie sich Nelly manifestierte. Auch für die anderen Magier war es ganz offensichtlich, dass sie ein Geist war. Trotzdem sagte keiner etwas. Aber das kümmerte mich gar nicht großartig. Wo war Eve? Wie konnte ich sie bloß finden?

Wir flogen ein paar Kilometer weiter weg, ohne dass uns jemand gefolgt wäre, und beratschlagten die restliche Nacht, was wir jetzt noch tun konnten.

25.07.2052

A

lexej und ich beschlossen, „Individuum erkennen“ zu erlernen, um Eve durch ein Ritual aufzuspüren (das hätte uns eher einfallen sollen). Dazu beschwor ich einen Luftelementar, der uns beiden als Lernhilfe dienen sollte. Eine gutgebaute Blondine manifestierte sich vor mir[17], und ich nannte sie „Josephine“. Mit ihrer Hilfe begannen wir unser Werk. Ich gestattete Pep, dem Trollschamanen, per Geistessonde in meinen Erinnerungen nach Eve Donovan zu graben. Ein äußerst unangenehmes Gefühl, wenn ein fremder Geist dir seinen Willen aufzwingt und du dich ihm öffnen musst, ob du willst oder nicht, Chummer. In Zukunft würde ich es mir genau überlegen, ob und vor allem wen ich mit diesem Zauber ausquetschte. Dann checkten die anderen sämtliche Krankenhäuser der Umgebung, ob sie nicht als Finanzgeber Mitsuhama hatten oder in ähnlicher Weise mit dem Konzern verknüpft waren und als Schattenklinik des Konzerns dienen konnten. Außerdem zogen wir wieder nach Hamburg-City, in die alte vergammelte Bude von Alfreds Schieber. Willy und Tigerweibchen flogen mit dem Ares Dragon zurück zur Burg und holten den VW hoch[18].

26.07.2052

E

ndlich waren Alexej und ich mit dem Erlernen des Spruchs fertig. Die ganze Zeit über hatten Alfred, Lena und Pep mit immer neu beschworenen Stadtgeistern versucht, Eve zu finden. Es waren einfach für die kurze Zeit zu viele Krankenhäuser. Wie sich herausstellte, hatte aber der Troll einen großen Fehler gemacht, denn Häuser waren natürlich das Domizil von Herdgeistern und nicht von Stadtgeistern, die eher die Straße bevölkerten[19].

27.07.2052

M

orgens begannen Alexej und ich mit dem Ritual, Eve zu finden. Es war ein schwieriges Unterfangen, denn wir hatten keine stoffliche Verbindung, und das einzige, was uns mit Eve ein wenig verband, war halt ich, denn von den anderen kannte sie außer dem Troll, der in meinen Geist geblickt hatte, keiner. Aber trotzdem gelang es uns, sie nach vier Stunden zu erspüren. Alexej, Nelly und ich konnten wie ein Leuchtfeuer sehen, wo Eve sich aufhielt. Ich bat Josephine, den Spruch aufrechtzuerhalten, dann setzten Alexej und ich uns in Bewegung. Wir erreichten ein Krankenhaus in der Innenstadt, gegenüber von Big Willy. Wir checkten nach astralen Sicherungen, aber es sah so aus, als ob es einfach ein ziviles Hospital niedriger Sicherheitsstufe wäre. Also zögerten wir nicht länger und suchten ihr Zimmer. Als wir es gefunden hatten, sah ich ihre Aura und erschrak: sie war vollkommen durcheinander und fast zerstört, alles Leben schien sie verlassen zu haben. Ihr ging es wirklich schlecht. Ich manifestierte mich vor ihren Augen und lächelte sie an. Trotz ihres erschütterten Zustandes hüpfte mein Herz vor Freude, dass ich sie endlich wiedersah. „Hallo Eve,“ sagte ich auf deutsch zu der schwachen Gestalt im Bett. „Erkennst Du mich? Ich bin es, Mag.“ Sie schaute hinter ihren langen Wimpern auf und sagte: „Mag...? Mag, du bist es.“ Sie sprach ihr deutsch mit einem exotischen Akzent, vermutlich schweizerisch. Bei ihrem Zustand war ich wirklich froh, dass sie noch wusste, wer ich war. Alexej warnte mich aus dem Astralraum, dass sich jemand näherte. Ich sagte daraufhin zu Eve: „Ich muss jetzt wieder verschwinden, aber ich komme dich bald holen. Versprochen.“ Gerade als ich mich in meine astrale Gestalt zurücktransformiert hatte, betrat ein Mann den Raum, offensichtlich ein Arzt. Er sprach kurz mit Eve und redete sie dabei mit „Frau Donovan“ an. Alexej und ich verschwanden wieder aus dem Zimmer und huschten zurück.

Wir beschlossen, jetzt auch physisch nachzuschauen, wie das Krankenhaus aussah, nur die beiden Orks blieben zurück in der „Bleibe“, um unser Lager zu bewachen. Das Krankenhaus trug den (sehr frommen) Namen St.Elisabeth Hospital und war augenscheinlich ganz normal, nichts deutete auf eine Schattenklinik oder einen Versuchsstand für einen Konzern hin.

Danach fuhren wir alle zusammen in Pauls Bierpumpe, die Kneipe, in der wir uns mit Alfreds Schieber getroffen hatten. Lena drang in die Matrix des Krankenhauses ein und fand dort auf Anhieb die Krankenakte von Eve. Am Montag, den 22.07., war sie eingeliefert worden, von einem Kerl mit Sonnenbrille und aalglattem Äußeren (Lena hatte zufällig die Videoaufnahme vom Empfang des Krankenhauses gefunden). Das war doch genau der Typ, der mir damals in der Space Needle ausgerichtet hatte, dass ich umsonst auf Eve wartete! Ha Schurke, ich würde dich finden, und dann warst du totes Fleisch! Leider fand sich der Name nicht, und auch sonst schienen nur Eves Daten gespeichert zu sein[20].

Die Ärzte hatten einen mit Fachausdrücken gespickten Bericht geschrieben, der erst von Alfred übersetzt werden musste, und nicht mehr und nicht weniger bedeutete, als dass man nicht genau wusste, was Eve eigentlich fehlte.

Mit dem Wagen statteten wir Magier dem Hospital einen weiteren Besuch ab und Leia hatte ausreichend Gelegenheit, nach Eves Zustand zu sehen. Schließlich war ihr Totem eine Heilerin und seine Schamanen waren verpflichtet, zu helfen, wo sie nur konnten. Sie meinte, dass wir sie so schnell wie möglich herausholen müssten, weil man sie hier nur zu Tode pflegen würde. Ich manifestierte mich, so dass ich für Eve sichtbar war und sagte zu ihr: „Eve, wir holen dich hier heraus. Gleich werden zwei Freunde von mir bei dir auftauchen, Alfred und Leia, und dich abholen. Du kannst ihnen vertrauen. Du musst nur dein Einverständnis geben, dass sie dich mitnehmen, denke ich, dann wird man dich entlassen. Hier kannst du auf keinen Fall bleiben, wenn du leben willst. Hast du verstanden?“ Ein trüber Blick aus ihren viel zu hübschen Augen und ein gemurmeltes „Ja, verstanden“ ließen mich zwar ein wenig daran zweifeln, aber wir machten die Probe aufs Exempel und schickten die beiden ins Krankenhaus, nachdem wir wieder zurück im Wagen gewesen waren. Sicherheitshalber begleitete ich sie astral, denn ich wusste ja nicht, ob Eve in ihrer Verfassung mitspielen würde. Aber es gab keinerlei Probleme, im Gegenteil: Eve bekam sogar noch Geld ausbezahlt, was jemand im Voraus für ihre Behandlung vorgestreckt hatte.

Daraufhin fuhren wir zu Icemans Bude, zur der Alfred ja immer noch die Schlüssel besaß, - unsere „Bleibe“ war wirklich kein Ort, an dem man Schwerverletzte heilen konnte - und Leia versprach, sich um Eve zu kümmern. Sie machte am Abend eine astrale Queste auf die Ebene des Landes, um eine geeignete Heilmethode zu finden. Inzwischen waren auch Kratzer und Tigerweibchen zu uns gestoßen, und Icemans Bude wurde richtig voll. Nur das Krankenzimmer war bis auf Eve und mich, der ihr die Hand hielt, leer. Bis auf eine halbe Stunde, als man mich rief, um Leia, die eine Verletzung erlitten hatte, zu heilen, harrte ich dort die ganze Nacht aus und schlief in einem Sessel. Hoffentlich fand die Schlangenschamanin etwas!

28.07.2052

L

eia kehrte am Morgen zurück aus den Metaebenen und fiel fast augenblicklich in tiefen Schlaf, so erschöpft war sie von ihrer Queste. Eine Stunde später bekam Eve einen Anfall, der sie fast umgebracht hätte, wenn Alfred und ich sie nicht geheilt hätten. Sämtliche Muskeln schienen einen Krampf zu bekommen, und im Astralraum sah ich, wie ihre Aura Energie aus ihrer Lebenskraft entzog und diese im Nichts verpuffte. Wir waren wirklich in allerletzter Sekunde gekommen, denn hätte sie keine magische Heilung erfahren, dann wäre sie nunmehr im Nirwana. Als Leia erwachte, erzählte sie uns, dass man etwas schreckliches mit Eve versucht hatte: man wollte eine Magierin aus ihr machen, ihr ein Magie-Gen, den sogenannten Magus-Faktor, einpflanzen und auf magische Weise in ihrem Körper verankern. Die Scheißkerle! So etwas konnte doch gar nicht klappen[21]. Deshalb wäre Eve fast gestorben. Manchmal wünschte ich, die Welt wäre ein bisschen weniger grausam.

Leia erklärte lange, was man tun musste, um sie zu heilen. Wichtiger Bestandteil war es, dass jemand, der Eve gut kannte (also ich) sie mit einer ganzen Reihe von therapeutisch heilsamen Fragen so lange bearbeitete, bis sie aufnahmebereit wurde für den weiteren Teil der Behandlung. Das konnte auch Leia übernehmen, was aber lange gedauert hätte, da sie sie erst kennen lernen musste. Also redete ich mit Eve so lange, bis sie Anzeichen für eine Besserung zeigte und mir der Mund fusselig war. Irgendwann legte Leia mir eine Hand auf die Schulter und meinte, dass es gut sei und sie jetzt weitermachen konnte. Eve fiel wieder in Schlaf.

Inzwischen hatte sich nämlich folgendes ergeben: unsere Schattenwerkstatt hatte jemanden aufgetan, der uns die Adresse eines Schiebers besorgen konnte, welcher angeblich in den Besitz von mehreren Hochsicherheits-Selbstschussanlagen gelangt sei. So etwas suchte ich nämlich für den Ausbau des Verteidigungsnetzes rund um die Burg. Das einzige Problem war nur, dass dieser jemand von uns dafür einen Run geliefert bekommen wollte. Seufzend willigte ich ein (meine Chummer überließen mir die Entscheidung), bedauerte aber, dass ich den Genesungsprozess von Eve nicht miterleben konnte. Ich schrieb ihr einen Brief, den sie erst lesen sollte, wenn sie wieder auf den Beinen war, und gab ihn Leia[22]. Die Heilerin wollte sich während unserer Abwesenheit voll und ganz auf Eves Genesung konzentrieren, was nur noch ein paar Tage dauern sollte. Dafür hatte sie einen sehr sehr großen Gefallen gut bei mir, sagte ich zu ihr, aber sie meinte nur, dass Schlange sagte, sie solle Eve heilen.

Am heutigen Tag verabschiedeten wir uns auch von den Runnern, die Alexej engagiert hatte. Ich schüttelte jedem einzelnen die Hand und bedankte mich herzlich. Es war eine gute Truppe, und bei Bedarf würden wir sie wieder rufen.

Mir fiel noch ein, dass es da noch einen Zauber gab, der von einem gewissen Elementargeist aufrechterhalten wurde, und einen zugehörigen hermetischen Kreis. Bislang hatten wir Glück gehabt, dass ihn niemand als stoffliche Verbindung zu uns benutzt hatte. Alfred und ich fuhren ein letztes Mal zur „Bleibe“ und wischten den Kreis weg. Ich dankte Josephine daraufhin und entließ sie aus meinem Dienst.

Irgendwann am Abend fiel mir ein, dass ich noch eine Probe aufs Exempel statuieren musste. Noch hatte ich keinen „Feldtest“ meines Teleportationszaubers durchgeführt. Also versammelte ich die anderen um mich herum und sagte: „Ich werde mich jetzt weg teleportieren. Bin doch mal gespannt, ob das klappt. Mal sehen... ich bamfe mich zur „Bleibe“, glaube ich.“ „Wie sollen wir wissen, dass du auch angekommen bist?“ fragte Alexej mit einem schalkhaften Ausdruck im Gesicht. „Ich werde euch anrufen.“ Und los. Ich setzte mich im Lotussitz auf die Erde und löste den Geist von meinem Körper. Dann zischte ich zur „Bleibe“, kehrte zurück in meinen Körper und entmaterialisierte mich. Es war ein prickelndes Gefühl, wie Nieselregen in einer Oktobernacht, das mir durch und durch ging. Schauer liefen mir über den Rücken. Dann war da nichts mehr, was etwas hätte fühlen können, nur noch ein Strom reinster Energie, meine Lebensenergie. Um mich herum verwandelte sich der Astralraum in einen langgezogenen Tunnel, der mich verschlang und beschleunigte. Es war eine Sache, astral zu reisen, aber eine andere, auch seinen Körper noch mitzunehmen. Wie ein Geschoss raste ich dahin, bis ich mich wieder in mir selbst befand. In einem der Kellerräume der „Bleibe“, den ich mir eben ausgesucht hatte. Neben mir materialisierte sich Nelly, wie ich feststellte. Schau an, schau an, dachte ich. Die hatte ich doch gar nicht mitteleportiert. „Was machst du denn hier?“ fragte ich sie. „Ich wollte nur sichergehen, dass dir nichts passiert,“ meinte sie. „Und wie bist du hierher gekommen?“ fragte ich wieder, Unwissenheit heuchelnd. „Du warst in dem Zauber eigentlich nicht inbegriffen.“ In Wahrheit wusste ich natürlich schon längst, dass sie ein Geist war. „Mag, weißt du, ich bin eigentlich kein Mensch, sondern...“ „...ein Geist,“ vollendete ich ihren Satz. „Ja, das weiß ich schon eine ganze Weile. Du weißt ja, dass das für mich keinen Unterschied macht, schließlich habe ich einen Schwur geleistet. Und dazu stehe ich auch.“ „Wenn ich das nicht wüsste, wäre ich dann hier?“ fragte sie rhetorisch. Anschließend erzählte sie mir, dass sie einst Alexejs Verbündete gewesen war, sich aber von seiner Kontrolle lösen konnte und seitdem bei ihm blieb. Er sorgte ganz gut für sie, sagte sie. Viel Karma musste er aufwenden, um sie zu halten. Daher wehte also der Wind! Deshalb konnte er viele Zauber nicht auf einer hohen Kraftstufe sprechen.

„Wenn du schon einmal hier bist, könntest du dann nicht so tun, als ob du dich mitteleportiert hast? Alexej wird das zwar durchschauen, aber die anderen nicht unbedingt.“ „Ja klar,“ meinte sie nur. Nach dem Kontrollanruf und einer kurzen Pause teleportierte ich mich zurück, gefolgt von Nelly. Als wir angekommen waren, war der Jubel groß. Ungeahnte Möglichkeiten standen uns offen, und alle waren hellauf begeistert von der Vorstellung, sich jederzeit irgendwo hin bamfen zu können, wenn es brenzlig wurde. Ich musste diesen Enthusiasmus allerdings etwas bremsen. Schließlich war der Entzug mörderisch, besonders, wenn ich versuchte, jemanden huckepack zu nehmen. Jetzt fühlte ich mich auch schon ziemlich erschöpft. Alexej musste natürlich wieder noch einen draufsetzen: „Nelly und ich müssen wieder nach Franken, zur Burg. Wie wäre es, wenn du uns dorthin bringen würdest? Das muss ja ein tolles Feeling sein, so wie du das beschrieben hast.“ „Hast du mir nicht zugehört, Alexej? Lern den Spruch doch selbst, dann wirst du dieses Feeling schon kennen lernen.“ „Aber so erschöpfend kann das doch gar nicht sein für jemanden wie dich. Schließlich hast du Nelly ja auch hin und wieder mit zurückgebracht. Und du siehst gar nicht so müde aus.“ Mit einem gewinnenden Lächeln blickte er mich an. Das Schwein. Wusste er doch genau, was hier lief. Der musste mir aber auch immer meinen Spaß verderben. Natürlich ging ich nicht darauf ein, sondern erfreute mich an seinem zerknirschten Gesichtsausdruck, als ich ihm sagte: „Das, mein Lieber, kannst du dir abschminken. Du wirst schön per HeliTaxi nach Hause fliegen. Das ist schließlich kein Kindergarten hier.“

29.07.2052

B

evor wir losfuhren, kümmerten wir uns ein wenig um unsere Ausrüstung: Alfreds Taliskrämerin besorgte mir einen Zauberspeicher, in welchen ich einen Kampfsinnzauber verankerte. Es war ein goldener Drache, der sich ans Ohr klammern ließ und sich ringelte und drehte. Die anderen organisierten wieder wild in der Gegend herum. Ich beschloß, mindestens einmal täglich in Hamburg anzurufen, um mich mit Leia zu unterhalten und mich nach Eves Befinden zu erkundigen. Wenigstens würde ich es versuchen. Wenn wir in Düsseldorf mitten in einem Run steckten, konnte es natürlich schlecht sein, wenn ich dauernd telefonieren musste[23].

Gegen Mittag fuhren wir los. Alexej und Nelly zurück zur Burg, Lena, Willy, Alfred und ich nach D´dorf. Die Fahrt war sehr ruhig, keine Verrückten begegneten uns auf der Autobahn, aber es war ja auch noch helllichter Tag. Gegen 8.00 pm kamen wir in D´dorf an. Der Autopilot fuhr uns durch die Dämmerung, die sich düster über die graue Stadt ergoss. Es nieselte, was die ohnehin schlechte Sicht nicht gerade verbesserte. Lohnsklaven eilten in bunten Regenmänteln hin und her, erledigten ihre wichtigen Tagesgeschäfte. Unser Kontakt wollte sich in Düsseldorf/Lohhausen mit uns treffen, in einem Club namens Partyzone. Als ich den riesigen Schuppen, der ganz auf edel getrimmt war, askennte, sah ich, dass ein riesengroßer hermetischer Kreis über ihn geschlagen war. Die Luft knisterte nur so vor Energie. Das hatte ich ja noch nie gesehen! Eine hochmagisch gesicherte Disco! Fasziniert stieg ich aus dem VW, gefolgt von meinen Chummers. Eine attraktive blonde Magierin in einem weißen Anzug begrüßte uns am Eingang und verlangte unsere Waffen und Panzer. Willy und ich hatten leichte Probleme damit. Allerdings hatte ich keine Chance mit meiner Argumentation. Plötzlich wurde ich von dem übermächtigen Drang beherrscht, meinen Kevlar Sicherheitsmantel auszuziehen und ihr auszuhändigen. Das tat ich dann auch folgsam. Nachdem auch die anderen ihren Anweisungen Folge geleistet hatten, konnten wir dann endlich rein. Eine große Halle, die zu diesem frühen Zeitpunkt nur spärlich gefüllt war, erstreckte sich vor uns. Zielstrebig steuerten wir auf eine Bar zu. Wir versuchten etwas zu trinken, wurden aber von den horrenden Preisen abgeschreckt: 25¥ wollten die Pfeffersäcke für ein Bier sehen! Wir ließen uns in einer Ecke an einem Tisch nieder, um den mehrere Sessel mit Temperatureinstellung standen (welch eine Vorstellung) und konnten uns so richtig unwohl fühlen. Mir fiel bei längerer Beobachtung auf, dass mehrere Leute in dem Schuppen, der sich langsam mit allerlei Schicki-Micki- Pinkeln füllte, an strategisch wichtigen Punkten saßen und über Kopfhörertelekoms miteinander sprachen. Der Laden hatte eine höhere Sicherheitsstufe als eine Forschungseinrichtung von irgendeinem Großkonzern!

Gegen 10.00pm kam ein Mann auf uns zu. Er war eine mittelgroße Erscheinung, hatte blonde Haare und war gekleidet in einen grauen Mantel, der seinen Körper vollständig verbarg. „Guten Tag. Mein Name ist Frank. Bitte begleiten sie mich.“ Das war also unser Auftraggeber. Wie er uns gefunden hatte, wussten wir nicht. Es ließ sich nur vermuten, dass er Fotos von uns in die Finger bekommen hatte. Wir folgten ihm nach draußen auf den Parkplatz, wo ein schwarzer Toyota Elite auf uns wartete. Im geräumigen Innenraum des Wagens nahmen wir Platz und stellten uns vor. Frank kam dann auch direkt zur Sache: Wir sollten einen Piratensender namens MurderTV ausheben. MurderTV war ein Sender, der ultrabrutalste Metzel-Szenen ausstrahlte und als Hauptattraktion eine Show hatte, in der vier ‘Protagonisten’ sich jemanden suchten, den sie auf blutigste Weise dahinschlachten konnten. Meistens war das jemand, der sich in der Öffentlichkeit gegen den Sender ausgesprochen hatte oder in ähnlicher Weise aufgefallen war. Die vier trugen Kameras bei sich, so dass der Zuschauer auf ekelerregende Weise miterleben konnte, wenn das Opfer schrie und Blut und Galle nach allen Seiten spritzte. Ich war schon fast bestrebt zu sagen, dass er uns nichts zu zahlen bräuchte, schließlich sei es ja auch in unserem Interesse, dass so ein Schund vom Markt genommen würde. Glücklicherweise erinnerte ich mich rechtzeitig daran, dass wir kein gemeinnütziger Verein waren, sondern harte Shadowrunner, die nichts taten, ohne dafür bezahlt zu werden.

Frank erzählte uns auch, dass die Gruppierung, zu der er gehörte, in Erfahrung gebracht habe, dass eine Verbindung zwischen MurderTV und RRTV bestünde. Der letztere, ein privater Sender mit Sitz hier in D´dorf, sollte dem Piratensender einen Kanal seines Programms zur Verfügung gestellt haben und mit ihm inoffiziell gemeinsame Sache machen, da er gute Werbeeinnahmen brachte. Man stelle sich vor, Konzerne machten Werbung in einem Splatter-Programm! Treusorgende Mütter mit Babywindeln zwischen Szenen von Kettensägenorgien! Etwas perverseres gab es ja wohl nicht mehr. Unser Run, meinte er, ging in diese Richtung. Der Nachweis, dass RRTV etwas mit MurderTV zu tun hatte, sei unsere Aufgabe. Der Run gliederte sich in zwei Teile: im ersten, am 30.07. um 6.00pm sollten wir als Mechaniker mit falschen IDs in den Sender eindringen, um in einem Lüftungsschacht drei sich nach einiger Zeit auflösende Behälter mit Grippe-Viren zu platzieren. Dafür erhielten wir einer Vorschuss von 2.000¥[24], bei Beendigung 5.000¥. Dann sollten wir uns nochmals mit Frank in Verbindung setzen (er gab uns seine Telekomnummer) und weitere Anweisungen für einen zweiten Run erhalten, der in das Sendergebäude ging, das nunmehr mit reduzierter Belegschaft operieren würde, denn ein Großteil war ja erkrankt. Dann erst sollten wir die Beweise für eine Verbindung zwischen RRTV und MurderTV finden. Im Fall eines Erfolgs betrug unser weiteres Honorar 26.000¥ auf beglaubigten Kredstäben. Dafür konnte man schon einiges riskieren, dachte ich mir.

Frank gab uns die falschen IDs und fuhr davon. Wir stiegen in unseren Kampfbulli und suchten uns eine Unterkunft. Schließlich fanden wir in einer sicher scheinenden Gegend eine Pension, deren Personal nicht nach dem woher und wohin fragte, sondern uns einfach zwei Doppelzimmer zur Verfügung stellte. Ich bezog mein Zimmer mit Lena. 200¥ kostete eine Übernachtung. Hier schien wirklich alles teuer zu sein.

30.07.2052

W

ir kauften uns Werkzeug und ließen uns mehrere Aufkleber einer Scheinfirma anfertigen, für die wir als Mechaniker arbeiteten. Noch dazu hüllten wir uns in Blaumänner, versteckten Lenas Cyberdeck in einer der Werkzeugkisten und standen um Punkt 6.00pm vor der Tür. Der Sender war ein großes, siebenstöckiges Gebäude mit schwarzer Spiegelverglasung. Auf seinem Dach war eine riesige Parabolantenne angebracht, die wahrscheinlich zu einem geostationären Satelliten im Orbit gehörte und die Sendungen ausstrahlte. Vor dem Gebäude standen zwei Wachen, die ankommende Besucher einem gründlichen Check unterzogen. Zu meinem Leidwesen gab es da auch noch einen Magier, der von den Wachen gerufen wurde, wenn unbekannte Gäste ins Gebäude wollten. Wir hatten am Nachmittag beobachtet, wie ein Bus mit japanischen Touristen auch von ihm kontrolliert worden war. Das hieß für mich nicht mehr und nicht weniger, als dass ich sämtliche magische Ausrüstung im Wagen lassen musste, wenn er nicht Verdacht schöpfen sollte[25]. Ich gab Alfred den ganzen Kram, der mich erst zu einem effektiven Magier machte und bläute ihm ein, bloß gescheit darauf aufzupassen, wenn er im Wagen auf uns wartete.

Willy, Lena und ich gingen also los und wurden einem gründlichen Check unterzogen. Der Konzernmagier stutzte zwar etwas, als er Lenas Aura askennte, bedeutete aber den Wachleuten, uns durchzulassen. Einer der beiden begleitete uns in den Keller, wo der Hauptkontrollraum für die Klimaanlage war. Er wartete draußen vor der Tür, bis wir mit unserer Arbeit fertig waren. Wir indessen platzierten die drei Behälter vorsichtig in einem der Lüftungsschächte so, dass man sie nicht auf den ersten Blick sah, sondern schon nach ihnen suchen musste, um sie zu entdecken. Dann fanden wir in einer Ecke einen Matrixanschluss. Lena hatte sofort ihr Deck bereit und stöpselte sich ein. Sie wollte jedoch nach ein paar Minuten wieder ausgestöpselt sein, denn schließlich wollten wir keinerlei Verdacht erregen. Als sie wieder unter uns weilte, sagte sie, dass der zweite Run am Tage stattfinden müsste, weil der Sender sein System nach 6.15pm herunterfahre. Das war natürlich eine wichtige Information für Frank, der sicher den Run schon bis ins Detail geplant hatte.

Wir verpackten unsere Sachen wieder, verließen mit dem Wachmann zusammen das Gebäude und wünschten ihm noch einen angenehmen Dienst. Als wir auf der Autobahn waren, riefen wir Frank an. Er sah gar nicht gut aus. Sein Gesicht war bleich und es standen Schweißperlen auf seiner Stirn, so als ob er Fieber hätte. „Es ist etwas Schreckliches passiert. Die haben uns reingelegt. Ihr müsst sofort kommen. Wir treffen uns neben der Partyzone. Beeilt euch!“ Ich hatte schon die ganze Zeit befürchtet, dass in den Behältern kein harmloser Grippevirus gewesen war, sondern ein Kampfstoff, der alle dahinraffen würde, sobald sich die Behälter aufgelöst hatten. Ich sollte, was das anging, recht behalten.

Als wir zum Parkplatz vor der Partyzone gefahren waren, bot sich uns ein schockierendes Bild. Der Toyota Elite stand in einer Parkbucht und die offene Fahrertür gab einen mitten in die Stirn geschossenen Frank preis, der im Tode noch die Hand auf dem Telekomhörer liegen hatte, so als ob er im letzten Augenblick um Hilfe rufen wollte. Er wurde aus nächster Nähe erschossen, durch die Windschutzscheibe. Neben im, im Fußraum des Beifahrersitzes, fanden wir einen Taschensekretär, den Lena sich einsteckte, und er trug eine Brieftasche, die ich ihm aus dem Mantel zog, ohne ihn zu berühren. Dann hörten wir auch schon sich nähernde Sirenen, weiß Gott wer die Bullen jetzt gerufen hatte (vielleicht war Frank aber auch nur bei der BuMoNa[26], und die kontrollierten ständig seine Lebenssignale). Wir verschwanden schnell in der anbrechenden Dunkelheit. Wir konnten uns schließlich nicht leisten, als Mörder hingestellt zu werden.

Wir untersuchten Franks Brieftasche und entdeckten außer einem 500 DM starken Abbey nur noch Franks Papiere und einen Zettel mit einem Namen oder einer Bezeichnung darauf: „RadWar“. Damit konnten wir natürlich nichts anfangen. Als Lena den Taschensekretär auf Herz und Nieren geprüft hatte, sah es so aus, als ob uns tatsächlich jemand einen Giftanschlag unterjubeln wollte. Der Kampfstoff, den wir in das Sendergebäude gebracht hatten, war hochgradig toxisch und hundertprozentig tödlich. Das erfuhren wir von einem gewissen Dr. Merkens, dessen Telekomnummer sich im Sekretär befunden hatte. Er sagte auch, dass Frank sich infiziert hatte, eine Ansteckung sei jedoch nicht möglich (wenn der Virus nicht inzwischen mutiert war). „Der Virus befand sich in falsch etikettierten Behältern und ist eine genetisch manipulierte Variante des Milzbrandvirus´. Diesen sogenannten Anthrax-Virus setzen selbst Konzerne nur selten ein.“ Als ich ihm erzählte, dass die Behälter mit den Viren im RRTV-Gebäude herumstanden, meinte er: „Rufen Sie mich nie wieder an!“ und legte auf. Anscheinend hatten wir es wieder einmal geschafft, mitten in die Scheiße zu fallen. Dafür waren wir ja Spezialisten. Irgend etwas mussten wir unternehmen. Sollten wir den Sender anrufen? Aber vielleicht würde man uns einfach nicht ernst nehmen, und dann mussten unseretwegen Hunderte von Menschen sterben.

...

...

...

Ich wachte im Dunkeln auf. Wo war ich? Nicht mein Hotelzimmer. Nicht der Wagen. Scheiße, das sah nach Keller aus. Ein fremder Keller... Was war geschehen? Ich erinnerte mich dunkel daran, wie ich auf einem weichen Sofa eingeschlafen war, einem weichen Sofa in einem Hotel. Aber warum war ich jetzt hier?

Dämmriges Licht begann langsam, die Dunkelheit zu vertreiben. Ich war nicht allein; meine Chummer Alfred, Lena und Willy lagen auch hier auf der Polstergruppe um diesen Tisch mit Getränken. Tisch mit Getränken? Ich träumte wohl noch. Was war das überhaupt für ein furztrockener Geschmack in meinem Mund? Egal, versuche dich, an alles zu erinnern, sagte ich mir.

Wie war ich auf das Sofa in meinem Hotelzimmer gekommen?

Es war nach dem Run. Genau, wir mussten schnell aus dem Sendergebäude flüchten, nachdem wir die Wache bezaubert hatten und die Giftbehälter an uns genommen hatten. Wir verschanzten uns im Keller. Die halbe Konzernarmee war auf uns aufmerksam geworden und forderte uns auf, uns zu ergeben. Wir kamen nicht mehr raus. Also musste ich zum letzten Mittel greifen: ich teleportierte Lena, Willy und mich ins Hotel zurück, was mich all meiner Kraft beraubte. Meine letzten Worte vor den Träumen waren: “Und sagt Alfred Bescheid, dass er mit dem Wagen vor dem Sender verschwindet und herkommt.“ Dann nichts mehr.

Tja, und jetzt war ich hier. Die anderen wurden wach. „Wo sind wir hier?“ fragte ich Alfred. Er zuckte nur mit den Schultern. Auf dem Tisch, auf dem ein ganzes Sortiment an Getränken stand, lag eine Notiz: „Genießen Sie die Getränke, der schlechte Geschmack lässt dann nach. Wenn Sie sich wieder gut fühlen, benutzen Sie das Telefon. Wir holen Sie dann ab.“ Unterzeichnet war der Schrieb mit „Maria Estardos“. Auf dem Tisch stand tatsächlich auch ein Telefon, sowie unsere Waffen, denen jedoch die Munitionsclips fehlten. Wir berieten uns kurz. Die anderen wussten auch nicht, was hier los war. Warum konnten sie sich nicht erinnern? Ich meine, hatte ich denn nicht als einziger geschlafen, bevor wir entführt wurden? Ich begann, den Raum zu askennen. Ich kam nicht weit, denn die Tür öffnete sich in fast demselben Augenblick. Zwei Soldatinnen mit Sturmgewehren im Anschlag traten ein, und ein Magier erschien vor mir im Astralraum. Der Magier sagte zu mir: „Wir wollen nur mit euch reden. Bitte lass es sein.“ Daraufhin grinste ich wie ein Wolf und entgegnete: „Wenn du deinen Arsch nicht bald hier herausschaffst, hast du eine extrem geringe Lebenserwartung.“ „Bitte, wir wollen euch nicht verletzen, aber wenn es sein muss, wirst du es wohl sein, der nicht mehr lange zu leben hat.“ Nun, ich stand vor der Wahl. Schließlich entschied ich mich dazu, erst einmal auf ihr Spiel einzugehen. Es sollte ja niemand behaupten, dass ich kein friedliebender Mensch war.

Die beiden Amazonen führten uns durch eine Doppeltür in einen großen, luxuriös ausgestatteten Raum, in dessen Mitte eine dunkelhaarige Frau mit üppigem Haarschopf mit dem Rücken zu uns stand und ein ältlicher Magier in einer Zimmerecke auf einem Stuhl saß.

„Guten Tag,“ sagte die Frau mit einer Stimme, die prickelnde Erotik ausstrahlte, und drehte sich zu uns um. „Mein Name ist Maria Estardos. Sie fragen sich sicher, warum Sie hier sind. Nun, da Sie in einigen Schwierigkeiten stecken, dachte ich, ich schlage Ihnen ein Geschäft vor.“ Sie war Spanierin oder aus Atzlan, milchkaffeebrauner Teint, schwarze Augen, sinnliche Lippen, grazile Figur. Sie besaß eine unheimliche Ausstrahlung, obwohl ihr Gesicht gewiss nicht klassisch schön zu nennen war. Ich bemerkte, dass auch Willy und Alfred von ihr angezogen wurden. Aber das sollte mir egal sein. Wir steckten in der Klemme? Wieso? Unser Run war doch erfolgreich. Wir hatten die Milzbrandviren in einem Kanister verstaut, der hermetisch abgesichert war. Darin konnten sie keinen Schaden anrichten. Wir hatten Leben gerettet, viele Menschen vor dem Tod bewahrt. Wer wollte uns daraus einen Strick drehen?

„Die Mafia ist hinter Ihnen her, und die Öffentlichkeit wird bestimmt auch nicht gerade erfreut sein, wenn sie mitbekommt, welche Fracht Sie an RRTV geliefert habt. Schon jetzt laufen Ermittlungen gegen Sie. Nun, der Konzern, für den ich arbeite, könnte Ihnen helfen und Sie aus dem Schlamassel heraushalten...“ Uns blieb keine andere Wahl, als auf ihr ‘Angebot’ einzugehen. Sie hatte uns in der Hand.

„Was sollen wir für Sie tun?“ fragte ich schließlich, nachdem Lena, Willy und Alfred stumm ihr Einverständnis gegeben hatten. Sie erklärte uns, dass Rainbow Entertainment Inc., ein großer Medienkonzern aus New York, dem sie vorstand, in Europa Fuß fassen wollte. Dazu plante sie, RRTV zu übernehmen. RRTV hatte vor einiger Zeit leichtsinnigerweise die Rechte an einem ihrer Kanäle an MurderTV verkauft, das damals noch anders hieß und sich im Rahmen der Legalität bewegte. Da die vollen Rechte an dem Kanal (und damit auch die Codes für die Frequenzen) bei MurderTV lagen, konnte man sie jetzt nicht einfach rausschmeißen; trotzdem sollte es unsere Aufgabe werden, dafür zu sorgen, dass MurderTV nicht mehr auf Sendung ging, sobald sie den Sender gekauft hatte. Schließlich, meinte sie, brachte das Horrorspektakel nur schlechte Publicity.

Weiterhin sollten wir zunächst einmal dafür Sorge tragen, dass nicht ein weiterer Anschlag auf RRTV verübt wurde. Die Yakuza war nämlich erstens eingeschworener Feind von Maria und zweitens hatte eine Reporterin von RRTV, Vicky Vance, einige dunkle Machenschaften der Yaks ans Tageslicht gebracht, die demnächst in einer großen Kampagne veröffentlicht werden sollten und einigen Wirbel in der Unterwelt verursachen könnten. Noch dazu sei der Giftanschlag von einer dritten Partei verübt worden, die noch vollkommen im Dunkeln stand.

„Sie sehen also, dass es einigen Schutzes für die Angehörigen von RRTV bedarf. Diese Aufgabe übernehmen Sie.“ Das war nicht leicht. Schließlich kannte man uns dort nur als Runner, die versucht hatten, einen großangelegten Mordanschlag zu verüben, oder, falls man das nicht wusste, dann doch wenigstens, dass wir zwei Mal in das Gebäude eingedrungen waren, um irgendeinen Unfug anzustellen. „Das Engagement wird so lange dauern, bis Rainbow Ent. Inc. den Sender gekauft hat und die Reportage über die Yakuza gesendet wurde, also bis zum 1.04. um 22.15h. Ihre Unkosten so wie ein zusätzlicher Anreiz, gute Arbeit zu leisten, werden von einer Summe von 50.000¥ gedeckt, die Sie bei Erfüllung ihres Auftrages erhalten.“

Gerade als ich sagen wollte, dass mir ihre Geschäftspraktiken zwar etwas fremd erschienen, wir jedoch nicht abgeneigt waren, den Auftrag anzunehmen, stürzte eine von den Amazonen herein, die uns begleitet hatten. Mit einem scheelen Seitenblick musterte sie uns und sagte zu Maria: „Schlechte Neuigkeiten, Mrs. Estardos.“ „Du kannst ganz frei reden, Silvereye, sie arbeiten mit uns zusammen.“ Unzufrieden brummelnd - offenbar war sie mit dem Engagement von Runnern aus der Schattenwelt nicht ganz einverstanden - ratterte die große Blondine mit dem martialischen Äußeren ihren Bericht herunter. Ein Decker aus Düsseldorf war in das Zentralsystem von Rainbow in New York eingedrungen und hatte Daten über die Sicherheitskräfte gestohlen. Daraufhin wurde das System heruntergefahren und man hatte jetzt einen hübschen Computerausfall. Das war aber das geringere Übel: man befürchtete einen Anschlag auf Maria Estardos’ Leben. Na toll. Es wurde immer verstrickter. Wir verabschiedeten uns von Maria und wurden von Silvereye nach draußen begleitet. Ich benahm mich ihr gegenüber wie ein Vollidiot, weil ich ihre Abneigung gegenüber uns spürte und außerdem die Schnauze gestrichen voll hatte von all diesen Drekheads und Medienschlampen, die ständig versuchten, uns für ihre Pläne einzuspannen, ohne dass wir vorher gefragt wurden[27]. Außerdem machte es mir Spaß, Silvereye ein wenig auf die Palme zu treiben. Sie war eine sehr ernste Soldatin, die mit Sicherheit ihre Pflicht über alles andere stellte. „Ich bin befugt, Ihnen diese Kopfhörerfunkgeräte zu überlassen. Sie senden auf einer codierten Sicherheitsfrequenz und besitzen zwei Kanäle.“ Sie überreichte jedem von uns eine Kopie ihres eigenen Geräts, in das sie manchmal leise sprach und dem sie ab und an aufmerksam lauschte. „Schön, Schatz,“ sagte ich zu ihr. „Was machen wir mit dem angebrochenem Abend?“ „Ihr schwingt eure Runnerärsche morgen früh um 11.00h zum Sendergebäude und bewacht es ab dann. Wenn irgend etwas sein sollte, das nicht der Routine entspricht, erreicht ihr mich über den zweiten Kanal.“ Wir wandten uns gerade zum gehen, als sie hinzufügte: „Und noch etwas: sollte einer von euch auf die Idee kommen, es als einen Sport zu betrachten, wie oft er mich aus dem Bett schellen kann, kann er sich schon mal ‘ne Pappschachtel für sein Begräbnis organisieren.“ „Aber Mäuschen, wir wollen doch keinen Streit mit dir! Warum bist du so aggressiv?“ Sie würdigte mich keines weiteren Blickes, sondern drehte sich nur um und ging wieder in ihr Domizil, das ich jetzt das erste Mal richtig sehen konnte. Es war eine Villa mit großem Garten, nicht unähnlich Alexejs Villa in Seattle, wenn auch in einem ganz anderen Stil gehalten. Nunmehr standen wir vor dem schmiedeeisernen Tor, das sich hinter uns geschlossen hatte.

Ich wandte mich an Willy und die anderen: „Kann mich einmal einer aufklären, wie wir in diese Scheiße hineingeraten sind?“ Alle Blicke richteten sich auf Alfred. Lena sagte: „Nachdem du eingeschlafen bist, hörte ich irgendwann einen Schlüssel im Schloss und dachte natürlich, dass es Alfred sei. War er auch, aber er hatte ein paar neue Freundinnen mit vielen Sturmgewehren mitgebracht.“ Alfred meinte kleinlaut: „Tja, die haben mich total überrumpelt. Ich hatte keine Chance, mich zu verdünnisieren, als mir die Wagen den Weg versperrten und der Magier im Astralraum auftauchte. Ich konnte nur tun, was sie wollten.“

Man konnte es ihnen nicht übel nehmen, dass sie sich hatten einfangen lassen. Ich hätte zu dem Zeitpunkt wohl am allerwenigsten etwas dagegen tun können, so fertig, wie ich gewesen war.

Wir fuhren erst einmal zu unserer Pension zurück, die wir so vorfanden, wie wir sie verlassen hatten. Dann versuchte Lena noch, über die Matrix neue Info zu organisieren. Leider erfolglos. Also legten wir uns irgendwann schlafen und sanken ins Reich der Träume.

31.07.2052

A

ls ich am nächsten Tag aufwachte, lag Lena, mit der ich ja das Zimmer teilte, halb auf mir und hatte ihren Kopf auf meinem Brustkorb gelegt. Hmmm, dachte ich, angenehme Position zum Schlafen. Vorsichtig stand ich auf und legte ihren Kopf sanft auf das Kissen, um sie nicht zu wecken. Ihre langen dunkelblonden Haare begruben das Kissen unter sich, und sie gähnte wie ein Kätzchen im Schlaf. Ich verließ den Raum und nahm genüßlich das Frühstück unten im Speisesaal zu mir. Es war erst 9.00am. Nach und nach trudelten die anderen ein und gesellten sich zu mir. Wir hatten alle sehr gut geschlafen in den Hotelbetten und - was wichtiger war - traumlos. Jedenfalls konnte sich keiner von meinen Chummern an einen Traum erinnern, als ich sie danach fragte. Runnern träumen selten von angenehmen Dingen.

Wir machten uns marschbereit und stiegen um 10.45am in den Superkombi, damit wir im dichten Verkehr auch rechtzeitig zum Sender kamen. Gerade hatten wir ihn erreicht (Willy hatte einen mittelschweren Wutanfall erlitten, weil ihn einer der anderen ‘Verkehrsteilnehmer’ mit seinem Porsche erst genötigt und anschließend ausgebremst hatte, und war nur durch gemeinsamen Einsatz aller davon abzubringen, ihm hinterher zu fahren und ein „paar ernste Worte mit der Sau zu reden, nachdem wir sie erschossen haben.“), als wir über die Kopfhörer eine Nachricht von Maria Estardos empfingen. Ich meldete mich mit „Telekom Deutschland, was können wir für Sie tun?“ Maria ging nicht darauf ein, sondern erklärte uns trocken: „Sie bekommen eine andere Aufgabe, die wesentlich dringender ist. Die Starreporterin von RRTV, Vicky Vance, ist entführt worden. Sie wird in einem Haus in D’dorf/Benrath festgehalten, genaue Adresse lautet Benrathstraße 54, 4. Stock, Appartement Nr. 45. Die Entführer sind von unseren Leuten dorthin verfolgt worden und setzen sich aus einem Ork, einem Menschen und zwei Elfen zusammen. Sie drohen, Miss Vance zu eliminieren, falls die Behörden eingreifen. Höchste Vorsicht ist geboten. Es scheint sich um Profis zu handeln. Am wichtigsten ist es, Frau Vances Leben zu retten und sie unverletzt bis zur Senderübernahme festzuhalten - als geehrten Gast, versteht sich. Irgendwelche Fragen?“

Natürlich hatten wir Fragen nach Art der Bewaffnung und Ausrüstung der Entführer und ob Magier unter ihnen waren, aber Marias Info reichte nicht aus, um alles lückenlos zu beantworten. Nachdem alle Klarheiten beseitigt waren, machten wir uns auf den Weg nach D’dorf/Benrath. Ausrüstung hatten wir komplett im Bulli gelassen, für den Fall eines überhasteten Aufbruchs[28], deshalb mussten wir nicht noch einmal zurück zu unserem Hotel.

Die Gegend war nicht unbedingt das, was man als Pinkel „sicher“ nennen konnte. Umgeworfene Mülltonnen und anderer Unrat säumten die mit Schlaglöchern verunstaltete Straße. Selten zeigte sich einmal jemand. Wenn, dann erschienen die Leute nur in Gruppen und mit weithin sichtbaren Waffen. Hier stellte niemand Fragen nach dem woher oder wohin. Die einzige Frage, die man hier zu hören bekam, war „Geld her! Na wird’s bald?“ Natürlich nur, wenn man dumm genug war, sich unbewaffnet auf die Straße zu wagen. Ein idealer Ort für eine Geiselnahme.

Der VW-Syncro-III-Autopilot wich geschickt allen Hindernissen aus und parkte den Wagen schließlich in einer Seitengasse der Benrathstraße. Willy schaltete um auf manuelle Kontrolle und fuhr noch näher an das Haus heran. Es war ein etwas verkommenes, wenn auch solide gebautes Stück deutscher Architektur aus dem vorigen Jahrhundert. Wie es aussah, hatte es etwa zehn Stockwerke. Ein rotes Giebeldach bildete den Abschluss nach oben. Viele der Fensterscheiben waren eingeschlagen oder mit Brettern verbarrikadiert. Eine fünfstufige Treppe führte zum Eingangsportal, das aus einer doppelflügligen Tür bestand.

„O.k. Leute,“ meinte ich, „mein Plan sieht folgendermaßen aus: Willy und ich gehen zum Gebäude mit Hilfe der Tarnung eines Unsichtbarkeitszaubers. Lena und Alfred, ihr bleibt hier, und greift nur ein, wenn etwas unvorhergesehenes passiert. Wahrscheinlich rechnen die Entführer damit, dass früher oder später jemand auftaucht, der Vicky zurückholen will. Alfred, Du hältst den Wagen fahrbereit und wir bleiben über unsere Kopfhörer in Kontakt. Sobald es drinnen Wumm macht, kannst Du den Wagen näher heranfahren. Irgend welche Vorschläge oder Anregungen?“ „Ich schlage vor, dass ich den Zauber wirke,“ meinte Alfred. „Schließlich beherrsche ich die gesteigerte Version.“ Gute Idee. Die täuschte nämlich auch optische Sichtgeräte und Kameras.

Alfred verzauberte Willy und mich, woraufhin wir den Iridio[29] verließen und uns vorsichtig in Richtung des Gebäudes bewegten. Mir war klar, dass Alfred den Zauber fallen lassen musste, sobald wir im Gebäude waren, denn dann konnte er uns nicht mehr sehen. Alfred und ich hielten uns dicht an den Hauswänden, den Bürgersteig entlang tigernd, der von Deckung gebendem Unrat übersät war. Wir tasteten uns langsam heran. Es mochte noch etwa dreißig Schritt entfernt sein (wir hatten bereits die doppelte Strecke zurückgelegt), als ich den Schuß hörte. Bevor ich überhaupt zum Zuge kam, geschahen viele Dinge gleichzeitig. Willy schrie auf, anscheinend getroffen von der Kugel. Dann vermute ich, dass er schoss und weiterlief, aber er war selbst mit meinem astralen Scan kaum zu sehen, so schnell war er. Blut spritzte hinter einem parkenden PKW auf, der etwa fünfzig Meter entfernt stand, als die 9mm-Geschosse der beiden Ares Predators ihr Ziel trafen. Ein Schrei ertönte von irgendwo hinter mir, den nur Lena ausgestoßen haben konnte. Ein Körper brach hinter dem Wagen zusammen[30], und eine Scheibe in unserem Zielgebäude wurde von innen eingeschlagen. Lena hatte die Schiebetür des Iridio geöffnet und lief auf uns zu. Ich begann ebenfalls zu laufen, als ein zweiter Schuss ertönte, diesmal jedoch nicht auf Willy oder mich gezielt war. Noch ein Schrei ertönte, gemischt aus Schmerz und Überraschung, gefolgt von einem dumpfen „Tumb“ hinter mir. Ich hatte keine Zeit, mich umzudrehen. Musste aus dem direkten Schussfeld heraus. Ein weiterer Schuss fiel, der an der Panzerung des Iridio abprallte und als Querschläger weiter die Straße herunterjagte. Endlich erreicht ich völlig außer Atem den schützenden Hauseingang, in dem Willy schon wartend stand. Sein Atem war ganz ruhig, doch waren seine Augen schreckgeweitet auf etwas hinter mir gerichtet. Endlich hatte ich Gelegenheit, mich umzudrehen. Eine auf dem schmutzigen Asphalt zusammengebrochene Lena wand sich in Krämpfen, schien mit sich selbst zu kämpfen. Verdammt, was war los? Wir konnten ihr nicht helfen. Der Typ im Fenster, der sie angeschossen hatte, besaß unter Garantie ein Ultrasound-Sichtgerät, mit dem er uns trotz Tarnung sehen konnte.

Glücklicherweise schaltete Alfred und fuhr mit dem Superkombi schützend vor die sich windende Lena, stieg in der Deckung des Wagens aus und... wir wurden wieder sichtbar. Bei ihm war sie in guten Händen, denn er konnte sie sowohl magisch als auch physisch heilen. Hoffentlich war es nicht so schlimm.

Willy und ich wandten uns wieder unseren eigenen Problemen zu. „Ich verstecke mich hier unter der Treppe und gehe in den Astralraum“, meinte ich. Er erwiderte nichts, sondern stürmte schon mit einem Affenzahn die Treppe herauf. Ich verkroch mich, versuchte, mich in der Enge unter der Treppe zu einem Lotussitz zusammenzukauern und versetzte mich in Trance. Mein Astralleib entschlüpfte meiner körperlichen Hülle und durchdrang auf dem Weg nach oben Treppen und Stahlbeton.

Ich brauchte nicht lange, um festzustellen, welches Stockwerk das richtige war. Eine Magierin stand auf dem Flur und erstrahlte in astraler Pracht, anscheinend auf Willy wartend, der bei seiner Treppenbesteigung nicht gerade wenig Lärm machte. Außerdem tauchte in diesem Moment eine weitere Person aus einem der Zimmer auf, allem Anschein nach eine Elfe mit schwerer Bewaffnung. Sie kauerte sich an das Treppenende und streckte ihre Waffe, wahrscheinlich ein Sturmgewehr, zwischen den Geländerpfosten hindurch. Ich konnte Willy nicht mehr rechtzeitig warnen, wer ihn hier erwartete, denn in diesem Augenblick tauchte schon sein Kopf auf der Treppe auf, ein Geschoss tiefer. Aber der Knabe war kein grüner Junge mehr, denn als ein Schuss durch das Treppenhaus peitschte, ihn nur knapp verfehlte und kurz darauf ein Schlafzauber auf ihn gesprochen wurde, zog er sich vorsichtig hinter eine Wand zurück und feuerte ein paar mal auf die Elfe[31]. Inzwischen nahm die Magierin astral wahr und entdeckte meinen Astralleib. Eigentlich wollte ich ihr nicht wirklich ans Leder, aber leider kannte ich nur einen einzigen Kampfzauber, der, aus dem Astralraum gesprochen, auch eine Flächenwirkung hatte. Pech für sie.

Als der Feuerball losging, brauchte sie sich um ihr Begräbnis keine Sorgen mehr machen. Das Treppenhaus stand in Flammen und auch die Elfe hatte es erwischt, jedenfalls soweit, dass sie sich zurückziehen musste[32]. Willy war nichts geschehen, denn ihn hatte ich nicht sehen können, als ich den Zauber sprach. Er versuchte, durch den Rauch und brutzelnden Qualm, der von der Leiche der Magierin ausging, ein Ziel ausfindig zu machen. Im Astralraum bot die Szenerie natürlich ein Bild des Schreckens. Ich beschloss, in meinen Körper zurückzukehren.

Als ich die letzten Stufen heraufgerannt kam, hatte sich der nach verbranntem Fleisch stinkende, ölige Qualm natürlich noch nicht verzogen, allerdings züngelten nur noch vereinzelte Flämmchen auf dem Dielenboden des Hausflurs. Willy stand vor einer der Türen auf dem Stockwerk, seine Pistolen im Anschlag. Er bedeutete mir zu schweigen. Mit ein paar eindeutigen (jedoch durch die schlechte Sicht kaum wahrzunehmenden) Handzeichen wies er mich auf eine Person in dem Eckzimmer direkt links neben dem Treppenaufgang und auf zwei weitere in dem Zimmer hin, vor dem er stand. Ich drückte mich an der Magierin vorbei, ohne auf ihre Überreste zu schauen. Ich war sicher, dass ich mich übergeben hätte.

Als ich an dem Eckzimmer vorbeikam, hörte ich, wie eine weibliche Stimme hinter der Tür einen Notruf losließ, der der BuMoNa galt. Scheiße. Uns blieb nicht mehr viel Zeit.

„O.k. Mann!“ rief Willy gerade in die Richtung, in die auch seine Predators husten würden, wenn sie Gelegenheit dazu bekamen. „Deine Chummer haben ins Gras gebissen oder sind außer Gefecht gesetzt. Wenn du dich ergibst, passiert dir vielleicht nichts. Wenn nicht, kannst du die Büffel in den ewigen Jagdgründen zählen.“ „Ich habe Vicky Vance in meiner Gewalt!“ kam die Antwort zurück. „Wenn ihr nicht sofort verschwindet, beißt sie ins Gras.“ Willy sah mich hilfesuchend an. Ich bewegte meinen Daumen und Zeigefinger wie ein plapperndes Maul. Willy verstand und redete weiter.

Meine Gedanken rasten. Wenn ich mich unsichtbar machte und geduckt die Tür öffnete, konnte ich vielleicht seinen Willen beherrschen, bevor er dazu kam, auf Vicky zu schießen. Ich musste nur schnell genug sein. Mit meinen aktivierten Zauberspeichern sollte es kein Problem sein. Wenn der Typ da drin nicht so vercybert war wie mein Chummer links neben mir, hatte er im Normalfall keine Chance. Und wer war schon so verrückt wie Willy?

„... dann müssen wir uns eben irgendwie arrangieren,“ meinte Willy gerade. „Was zahlen dir deine Brötchengeber? Wir zahlen das Doppelte und garantieren dir eine...“ Ich hatte mich inzwischen gestikulierend an die Tür geschlichen und hoffte, er verstand meinen Plan.

Ich schmiss die Tür auf. „... kostengünstige Bestattung in einer Müllverbrennungsanlage!“ rief Willy. Der Elf, der eine Automatik auf eine zierliche Brünette gerichtet hatte, hatte nicht einmal die Chance mit den Augenlidern zu zucken, als ihn mein Zauber erwischte. Ich tastete nach seinem Verstand und flüsterte ihm ein, dass er unter Freunden sei. ‘Kein Grund zur Aufregung, Monsieur Elf. Gib mir deine Waffe, du brauchst sie nicht.’ Sein Wille brach und er war mir ausgeliefert. Seine hochgewachsene Gestalt sackte in sich zusammen. Starr blickte er Vicky an, als könnte er es gar nicht fassen, dass er eben noch bereit gewesen war, uns alle über den Jordan zu schicken. Die Brünette schaute mit schreckgeweiteten Augen auf den hinter der Ecke hervorkommenden Willy, der mit den Waffen im Anschlag eine sichernde Haltung annahm und den Elfen in Gewahrsam nahm.

„Miss Vance,“ meinte er auf englisch, „ich werde sie jetzt von ihren Fesseln befreien. Bitte bleiben Sie ruhig. Wir sind hier, um Sie zu befreien.“ Er gab sich mühe, der Kleinen über den Schock hinwegzuhelfen. Trotzdem wollte sie auf den Flur laufen, als er sie von dem schmutzstarrenden Heizkörper befreit hatte, an dem sie hing. Ich lächelte, als ich sah, mit welcher nebensächlichen Bewegung er eines ihrer Handgelenke ergriff und mit sanfter Gewalt festhielt, während er mit der Ruhe eines LoneStar-Cops den Elfen nach weiteren Waffen abtastete. Ich lächelte nicht mehr, als ich sah, was da an die Wand gelehnt stand: ein Ranger Arms Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr. Er hatte also auf Lena geschossen! Es konnte nur er gewesen sein, denn die anderen waren zu dem Zeitpunkt im Flur oder hinter dem parkenden Wagen auf der Straße gewesen. Eine stumme Frage, die er willenlos beantwortete, bestätigte diese Annahme.

„Lassen Sie mich los, Sie... Sie...“ zeterte Vicky. Ich erschien aus meiner Unsichtbarkeit und sagte: „Wie wäre es mit einem Dankeschön? Wenn sie hier lebend heraus wollen, machen Sie bitte keine Schwierigkeiten.“ Mein plötzliches Erscheinen hatte sie ruhiggestellt. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, als wir das Treppenhaus durchquerten und an den Resten der Magierin vorbeikamen. Sie stockte kurz und schaute mich fragend an, woraufhin ich nur mit den Schultern zucken konnte. Das Mädchen hatte einen guten Magen. Wir traten aus dem Haus heraus, nachdem wir uns vergewissert hatten, dass die Elfe, die oben in diesem Eckzimmer festsaß, keinerlei Schussmöglichkeit in Richtung des Wagens hatte (wir hatten die Tür zum Flur einfach versperrt, und wenn das Zimmer ein Fenster besaß, so wies es genau in die uns abgewandte Richtung). Wir schauten zu dem Iridio und sahen... nichts. Er stand genau so da, wie Alfred ihn abgestellt hatte: zwischen Lena und dem Schützen, der sie getroffen hatte, unseren Gefangenen.

Der nächste Anblick war nicht weniger überraschend: Alfred lag über Lena, beide schienen bewusstlos zu sein. „Schnell,“ meinte ich, „gleich ist hier der Teufel los!“ Willy setzte sich hinter das Lenkrad und zog Vicky auf den Beifahrersitz, während ich die beiden einsammelte und den Elfen sich selbst mit einem Paar Handschellen an einen der Haltegriffe in der Ladebucht fesseln ließ. Willy fuhr los wie von einem Rudel Ghule gehetzt.

Als nächstes kümmerte ich mich um die beiden Bewusstlosen. Wie immer askennte ich sie zuerst. Ich wünschte, mir wäre der Anblick erspart geblieben, und die Erkenntnis traf mich wie ein tödlicher Blitz eine jahrhundertealte Eiche. Nie würde ich dies vergessen können - mein ganzes Leben lang würde mich dieser Anblick verfolgen. Ich merkte nicht, wie mir der Zauber, mit dem ich den Elfen umwoben hatte, entglitt, ich befand mich nicht mehr in einem hundert Stundenkilometer schnellen Auto, ich merkte nicht einmal, wie ich meine Lippe blutig biss, ich konnte nur eins sehen: Alfreds Aura war schwach, und Lena... hatte keine Aura mehr!

Mir schossen die Tränen in die Augen, als ich mich von ihnen abwandte und meine Umgebung wieder wahrnehmen konnte. Mit zitternder Stimme sagte ich zu Willy: „Willy... Lena... ist...ist...tot!“

Er trat vor Schreck so fest auf die Bremse, dass wir fast einen Crash gebaut hätten. „Waaas?“ schrie er mich an. „Lena ist tot!“ brachte ich noch einmal hervor, und ein Schluchzen würgte mir die Stimme ab. Er sprang durch den schmalen Spalt zwischen den beiden Sitzen in die Ladebucht und schüttelte Lenas Körper, als könne er es nicht begreifen, während ich mir verzweifelt eingestehen musste, dass ich vollkommen hilflos war. Ich konnte zwar jedes Lebewesen retten, solange noch ein Quäntchen Leben in ihm war, aber wenn das verschwunden war, konnte nur noch ein Wunder helfen. Nichts konnte ich tun. Gar nichts. Ich fühlte mich hilflos wie noch nie zuvor in meinem Leben[33].

Langsam kam ich wieder zu mir. Ich hörte Sirenengeheul in der Ferne und bemerkte, dass der Wagen nicht fuhr. „Willy, verdammt, setz dich wieder hinter das Steuer!“ schrie ich. „Du kannst nichts mehr für sie tun. Niemand kann das jetzt noch!“ Eiseskälte durchflutete mich, als wir anfuhren und ich über Lena hinwegstieg. Dort saß der Killer hilflos vor mir. Ich brauchte nur einen simplen Spruch zu wirken, und es gab ihn nicht mehr. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ein heftiges Gefühl der Rachsucht quoll in mir und schnürte mir die Brust zu. Er blickte mich an mit diesen kalten Augen, weder auf Gnade noch auf einen schnellen Tod hoffend. Ich machte mich schon daran, mit all meiner Kraft seinen Tod herbeizuführen, als ich innehielt.

Wurde ich damit nicht genauso wie all die Leute, die skrupellos genug waren, für einen Konzern zu arbeiten und sich allen Befehlen zu fügen? Fügte ich mich nicht auch einem Befehl, dem Befehl der allgegenwärtigen Gewalt, die keine Rücksicht nahm auf Schwäche oder Alter. Beugte ich mich nicht dem Befehl, den ich mein Leben lang verweigert hatte? Es war ein großer Unterschied, ob man tötete, um am Leben zu bleiben, um jemanden, den man schützen wollte, zu retten oder nur deshalb, weil es einfach war. Es war so bequem zu töten. Bums. Aus die Maus. Bang, du bist tot. Wirst mir keine Schwierigkeiten mehr machen. Auf einen hilflosen, unbewaffneten Mann einen Zauber zu sprechen, der ihn töten würde, würde etwas von mir töten. Mich selbst zu einem Killer machen. Meine Barmherzigkeit nehmen und mich wie eine Hülle zurücklassen. Eine Hülle wie ihn dort vor mir. Nein, das würde ich Lenas Mörder nicht gestatten. Das würde ich niemandem gestatten!

„Sieh mich an, du Schwein!“ presste ich voller Wut hervor. Der Elf blickte auf. Ich ließ meine Worte zu einem der mächtigsten Zauber verschmelzen, die ich kannte: der Geistessonde. Ich drang in seinen Geist und tat ihm weh. Er krümmte sich. Ich wusste, dass meine nächsten Worte immer in seinem Kopf bleiben würden. Oh ja, er würde sich daran erinnern. „Ich könnte dich töten, aber das wäre zu leicht für dich. Das willst du doch, oder? Nein, ich werde dich leiden lassen, Arschloch, für den Rest deines Lebens wirst du vor mir nicht sicher sein! Du wirst dich fragen: Was steckt dort in dem Schatten? Hinter der Ecke? In dem Tunnel? Im nächsten Raum? Das könnte nämlich ich sein. Und jedes Mal, wenn wir uns wieder begegnen, wirst du einen Teil deines Körpers verlieren.“ Mit diesen Worten zog ich mein Katana blank. „Heute wird es nur eine Kleinigkeit sein!“ Mit einem präzisen Schlag lies ich das Schwert auf seinen Kopf niedersausen. Ich hatte ihn noch vollkommen unter Kontrolle, deshalb rührte er sich nicht. War auch besser für ihn.

Ein Büschel Haare fiel zu Boden. Die würde ich als stoffliche Verbindung brauchen können, sollte ich ihn jemals suchen. Leider wurde es ein wenig schwierig, wenn man zu lange damit wartete. Ich hob es auf, schlug es in ein Taschentuch ein und verstaute es in einer Tasche meines Dusters. Dann wandte ich mich wieder dem Killer zu. Mit der Geistessonde erfuhr ich alles über ihn, seinen Namen (Blood), seine Vorlieben (Leute killen), seine Angst vor mir und dass er und seine Chummer für Nitama Security Services arbeiteten. Vicky Vance hatten sie entführt, weil ihr Kon dunkle Geschäfte mit der Yakuza am laufen hatte und jetzt natürlich fürchteten, dass Vicky ihre Verbindungen aufdecken könnte. Sie sollte einer Gehirnwäsche unterzogen und so unschädlich gemacht werden. Ich hockte mich im Lotussitz hin, um mich zu entspannen. Dem Killer gab ich den Befehl zu schlafen.

Wir konnten nicht weit gefahren sein, denn es war erst Mittag, als Alfred wieder erwachte. Ich kümmerte mich um ihn, und als er ein paar Mal gekotzt hatte (natürlich aus dem Fenster), ging es ihm auch besser. Danach schaute er betroffen auf Lena. „Sie hat’s nicht gepackt, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Mag. Ich versuchte sie zu heilen, nachdem sie getroffen worden ist, aber... so etwas habe noch nie gesehen. Lena hat wieder einen Anfall gehabt, und ihre Aura hat versucht, die Wunde zu heilen. Immer wieder! Sie konnte nicht aufhören, Energie in sich hineinzupumpen, und der anschließende Entzug brachte sie um. Ihre Aura hat sie zerstört, Mag! Ihre verdammte Aura! Ich habe alles versucht, was ich konnte, aber ihre Wunden öffneten sich immer wieder...“ Er legte mir seine Hand auf die Schulter, um mich zu trösten. „Sie hat mir noch etwas gesagt, Mag, bevor sie gestorben ist. Nicht direkt gesagt, aber... sie hat mich mit Mag angesprochen. Wahrscheinlich hat sie mich für dich gehalten. Mag, ich glaube, sie... sie hat dich geliebt. Tut mir leid, dass du es so erfahren musst.“ Er wandte sich ab.

Ich weinte. Ich weinte so, wie ich damals weinte, als ich Tir verlassen musste. Ich kann nicht genau sagen, was in diesem Moment in mir vorging. Ich verbarg meine Augen hinter meinen Händen und schluchzte leise. Alfred, mein Freund, dich trifft keine Schuld, dachte ich. Ich weiß nicht, ob ich sie hätte retten können.

Wir funkten Maria Estardos an, nachdem wir den Elf bewusstlos geschlagen hatten, damit er uns nicht hörte. Ich war ganz ruhig und sagte kalt: „Wir haben Vicky Vance. Sie ist unverletzt. Wir haben Lena verloren, unsere Deckerin. Von den Entführern sind zwei tot, die Anführerin hat es überlebt und ist entkommen, wir halten zur Zeit einen Mann gefangen. Stellen ihn zum weiteren Verhör zur Verfügung.“ In mir war jede Emotion gestorben. Ich fühlte einfach nichts. Ich berichtete noch von unseren Informationen, die wir dem Killer entlockt hatten, und bat um Anweisungen.

„Setzen Sie sich ab. Wir haben zur Zeit alle Hände voll zu tun. Sie kennen mit Sicherheit einige Ecken, in denen Sie sich einige Zeit verbergen können. Noch etwas: Sie sprechen in Zukunft mit Silvereye, da ich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen widmen muss. Verhören Sie den Mann weiter, bis Sie andere Anweisungen bekommen. Er darf nicht entkommen. Und... Herr Magnus... es tut mir leid um Ihre Freundin.“ Hmm. Klang ziemlich ehrlich. „Danke,“ erwiderte ich schlicht.

Wir suchten uns eine Absteige in einem der schlechtesten Viertel D’dorfs und richteten uns ein, so gut es ging. Ich muss in dieser Zeit durch die Gegend gelaufen sein wie ein Zombie, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, wie ich plötzlich mit einigen Ausrüstungsgegenständen wie Konserven für mehrere Tage, einigen Kisten Wasser in Plastikflaschen (fließendes Wasser gab es nicht, und wenn, hätte ich trotzdem das aus dem Supermarkt genommen), einer Kaffeemaschine nebst Zubehör (Strom gab es dann zu meiner Überraschung doch noch hier), zwei Flaschen Whiskey (vom feinsten Zeug, das zu bekommen war) und einem Flachmann für den Whiskey (ich konnte das Zeug jetzt echt gebrauchen, Mann!) in dem großen Raum, der uns als Bleibe diente, stand. Musste wohl mit dem Wagen losgefahren sein. Ach ja, und da war natürlich auch noch der unangenehmere Teil: ich hatte einen zwei Meter langen Plastiksack mit Reißverschluss gekauft, der normalerweise für Skis benutzt wurde. Ich musste ihn für Lenas Leiche benutzen.

Sie hatten wir mit hochgenommen und in einem Nebenraum untergebracht. Inzwischen war die Leichenstarre eingetreten und sie war steif wie ein Brett, als ich sie verpackte. Bevor ich den Reißverschluss zuzog, betrachtete ich noch einmal ihr Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf ihren kühlen Mund. Ohne emotionale Regung kullerten die Tränen meine Wangen herab und benetzten ihre Augen. Es war irgendwie eine körperliche Reaktion auf ihren Tod, keine, die mit aufwallenden Gefühlen verbunden gewesen wäre. Schroff wandte ich mich ab.

Nachdem ich zwei Stunden geschlafen hatte, ging es mir besser, und ich konnte mich der Wunden meiner Chummer annehmen, die von Alfred bereits verbunden worden waren. Gegen 3.00pm. begannen Willy und ich mit dem Verhör unseres Gefangenen. Wir gingen nicht gerade sanft mit ihm um[34], aber das Schwein hatte es nicht besser verdient. Schließlich erfuhren wir eine Menge über die Hintergründe für die Entführung. Der Elf, „Blood“, ein sadistisches Arschloch, dem es Spaß machte, andere leiden zu sehen, wurde sogar richtig redselig. Auf Maria Estardos war ein Spezialistenteam aus Japan angesetzt, das für die Yakuza arbeitete. Er selbst jedoch arbeitet für Nitama Security, zusammen mit seinem nunmehr indisponierten Team. Die Anführerin, „Death Angel“, war für den Tod Franks verantwortlich. Es bestand aus ihr, dem Elfen, Striker und der japanischen Kampfmagierin, die das Treppengeländer zum Kochen gebracht hatte. Die wurde dem eingespielten Team von dem Konzern zugewiesen. Nitama steckte auch hinter dem Giftanschlag auf RRTV, da alle Verbindungen zur Yakuza geheim gehalten werden sollten.

Willy überraschte mich, als er fragte, wer uns zu den mutmaßlichen Attentätern führen könnte. Der Killer gab uns daraufhin die Nummer eines Matrix-Rechners der Yakuza, wo wir angeblich alles Wissenswerte über die Typen erfahren könnten. Jetzt fehlte uns nur noch ein gescheiter Decker, denn Lena war schließlich tot. Unsere Schattenwerkstatt ließ sich nicht lumpen und vermittelte uns einen Decker, der für 10.000¥ bereit war, uns die Info zu beschaffen. Kurz darauf rief Silvereye uns über die Kopfhörertelekoms an. RRTV war gekauft, allerdings sollten wir Vicky Vance weiterhin beschützen, da vor knapp zwei Stunden ihr Partner tot aufgefunden worden war. Sie sollte ihre Reportage fertig stellen. „Sie soll was bitte?“ fragte Willy. „Sie werden ihr alle dafür notwendigen Ausrüstungsgegenstände zukommen lassen und sich ganz auf ihre Bewachung konzentrieren.“ „O.k.“, sagte er, sichtlich irritiert. Es konnte Schwierigkeiten geben. Wenn Vance hier irgend ein krummes Ding mit Daten über uns veröffentlichte, war unser Ruf in der Schattengemeinschaft ziemlich hin und wir mussten untertauchen. „Und vergessen Sie den Piratensender nicht. Er unterliegt ebenfalls Priorität Alpha.“ Na fein. Wir organisierten die Klamotten, die Vance zur Niederlegung ihrer Story brauchte, darunter ein Laptop und eine ständig laufende Kaffeemaschine, und ließen sie schreiben.

Willy machte sich auf in einschlägige Kneipen, um etwas über MTV herauszufinden, und ich flitzte in astraler Gestalt zur Burg, um mich bei Nelly und Alexej auszuheulen, denn mir ging es immer noch echt mies. Alexej hatte keine Zeit, denn er meditierte schon seit Tagen, aber Nelly konnte natürlich mit mir reden. Ich erzählte ihr, was passiert war, und ich könnte schwören, dass ein bestürzter Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen war, was mich sehr wunderte, wo sie doch ein Geist war. Sie wusste von Lenas Liebe zu mir, denn sie hatte sich bei Nelly ausgeweint, als ich auf die Suche nach Eve gegangen war und dann mit Leia schlief. Was sind Männer doch für Scheißkerle, allen voran ich, dachte ich, so unsensibel und kalt... Ach Lena, was gäbe ich dafür, wenn ich all das ungeschehen machen könnte, wenn ich es doch nur geahnt hätte... Alles zu spät, aus und vorbei. Nelly gab sich alle Mühe, mich zu trösten, und nachdem ich wieder einigermaßen klar war, dankte ich ihr und flitzte zurück.

1.08.2052

W

illy kam gegen Morgen zurück. Er hatte erfahren, dass in letzter Zeit ein Haufen ausländischer Shadowrunner unterwegs sei, der allgemeine Tonus lautete: „Haben denn die in Amerika nichts mehr zu tun?!“ Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Dass das Gerede auf Silvereye und ihre Sicherheit bezogen war, war ziemlich ausgeschlossen. Da kamen wohl eher wir in Frage.

Ein Schieber namens RadWar, hörte Willy weiterhin, könne uns behilflich sein. Er hatte sich auf illegale Medienausrüstung spezialisiert, die das Mörder-Team von MurderTV nach unseren Infos ebenfalls benutzte. Sie fuhren mit einem Sende-Truck durch die Pampa und benutzten irgendeine versteckte Fixstation als Relais. Das Team bestand aus einem Troll, der Nahkampfexperte war und wahrscheinlich mehr Kraft hatte als wir alle zusammen, einer Magierin, einem Pfeile verschießendem Elfen und einem vollvercyberten Samurai.

Außerdem hatte Willy noch die Bestätigung erhalten, dass die Yakuza tatsächlich mit einem großen Konzern Geschäfte tätigte und RRTV eine große Reportage darüber senden wollte.

Während des Frühstücks rief Maria persönlich bei uns an, ohne ihren Schützling Silvereye vorzuschieben, und meinte, dass wir Vicky Vance zum Sender bringen sollten, da Knight Errant inzwischen die Sicherung des Gebäudes übernommen habe und daher ein Anschlag auf ihr Leben recht unwahrscheinlich erschien oder zum Scheitern verurteilt war.

Nachdem wir unsere Siebensachen gepackt hatten, fuhren wir los und übergaben zunächst den Killer Blood an Knight Errant, da wir ihn einerseits nicht töten wollten[35], aber andererseits auch nicht laufen lassen konnten. Widerwillig nahmen sie uns den Kerl ab, der nach Willies Behandlung ziemlich übel aussah. Ich schickte ihm mit einem Blick, der Beelzebub selbst mit Eiseskälte erfüllt hätte und sagte: „Ich werde dich finden, Mörder, wo immer du auch bist. Du wirst mich fürchten lernen.“ Von Vicky, die uns seit ihrer Befreiung schreckerfüllt angestarrt hatte (besonders während des blutigen Verhörs von Blood), verabschiedete ich uns mit den Worten: „War uns eine Ehre, Ma’am. Empfehlen Sie uns weiter. Und falls Sie einmal ein Problem haben sollten, fragen Sie nach uns. Wir helfen gerne. Schließlich sind wir die Guten.“ Natürlich nicht ohne ein süffisantes Lächeln auf den Lippen zur Schau zu tragen (das so falsch war wie alles andere auch, das ich in dieser Zeit zur Schau trug - ich fühlte mich einfach nur ausgebrannt). Mit schockierter Miene taperte sie von dannen. Die würde uns nicht mehr auf die Nerven fallen.

Außerdem sorgte ich dafür, dass sie keine Bilder oder Daten von uns in einer ihrer tollen Shows zeigte: ich ließ sie per Gedankenkontrolle eventuelle Headware-Memories und ähnliche Speicher oder Filme löschen, als sie gerade im Begriff war, im Gebäude zu verschwinden[36]. Ich noch einmal im Trideo wie damals in Seattle[37]? Von wegen. Niemals.

Wir fuhren weg vom Sender und überlegten, was als nächstes zu tun war. „RadWar war doch der Name dieses Schiebers, der die Sendeanlagen vertreibt“, sinnierte Willy. „Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.“ „Der Name stand auch auf der Visitenkarte unseres verstorbenen Auftraggebers Frank“, meinte ich. „Sollte der etwa an diese Selbstschussanlagen gekommen sein? Das wäre ja ein Ding. Wo der doch davon keine Ahnung haben dürfte. Will die Dinger bestimmt loswerden. Aber im Grunde ist das sowieso egal.“ Ich dachte wieder an Lena. „Nix da, Freund“, meinte Alfred. „Du lässt dich nicht hängen, klar? Wir brauchen dich. Willy und ich gehen auf Piste und finden die Nummer dieses Schiebers heraus. Und dann sehen wir weiter.“ Gegen 4.00 pm, also richtig früh noch, hatten sie RadWars Telekomnummer ausfindig gemacht. Über einen Anrufbeantworter und anschließendem Rückruf (ohne sein Bild) verabredeten wir ein Treffen unter einer Brücke in der Nähe. Schien ein vorsichtiger Mann zu sein, dieser RadWar. Kein Wunder, wenn er militärisches Gerät loswerden wollte. Wir erkundeten die Gegend um die Brücke, aber da sich nichts Verdächtiges regte, warteten wir die zwei Stunden bis zu RadWars Ankunft einfach ab. Gerade schlug es 6.00 pm (oder hierzulande 18.00 Uhr), als ein dunkler Lieferwagen mit Radioaktiv-Aufklebern um die Ecke bog. Er hielt an und scannte uns anscheinend nach Waffen, welche wir alle ablegen mussten. Ich will die anschließende Verhandlung nicht unnötig in die Länge ziehen, daher sage ich nur so viel: wir (also ich) erkundigten uns nach drei Selbstschussanlagen, die er zu einem horrenden Preis anbot, der aber noch angemessen erschien, wenn man die Brisanz der Ware berücksichtigte. Außerdem fragten wir nach einer Information: wo war diese Medienausrüstung, die er neulich an MurderTV verschoben hatte, genau hingegangen? Die Info konnten wir leider nicht so ohne weiteres aus ihm herausquetschen. Der Kerl verlangte tatsächlich eine „Vermittlungsgebühr“ von 75 k¥ ! „Wir sind nicht bereit, eine solch horrende Summe dafür zu bezahlen“, meinte ich. „Vielleicht könnte man sich anders einig werden...“ Die Frage hing ein paar Augenblicke in der Luft, bis der schlacksige RadWar meinte: „Wenn Sie es hinbekommen, ein Gespräch zwischen mir und einem wichtigen Exec aus dem Medienbereich zu organisieren, gebe ich Ihnen die gewünschte Information.“ Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, als ich schon an Maria Estardos dachte, unsere Auftraggeberin, die ja Medienmogulin war. „Da ließe sich etwas arrangieren, denke ich“, meinte ich zu ihm. „Allerdings müssen wir das natürlich noch abklären. Wir geben Ihnen dann über Ihren Anrufbeantworter Bescheid. Wegen der Selbstschussanlagen kontaktieren wir Sie ein anderes Mal.“ Wir trennten uns, und auf der Rückfahrt funkten wir Maria an, um ihre Meinung dazu zu hören. Wie erwartet willigte sie ein, und wir hinterließen eine Nachricht bei RadWar. In einer Stunde würden sich die beiden in einer Kneipe im Bellevue treffen; bis dahin hatten wir noch genügend Zeit, dort die Lage zu klären und für Marias Sicherheit zu sorgen. Es wäre nicht nötig gewesen, denn schließlich tauchte Maria mit einer ganzen Schar von Knight Errant Leuten und ihrer eigenen Amazonengarde auf. Gemeinsam warteten wir auf RadWar, der sich für meinen Geschmack ein wenig zu viel Zeit ließ. Schließlich tauchte er hocherfreut auf, begann ein höfliches Gespräch mit Maria und schob uns einen Zettel zu. Mit einem Nicken verabschiedeten wir uns und fuhren zu der darauf befindlichen Adresse. Über Funk teilten wir die Info Silvereye mit, die uns Unterstützung versprach, falls es brenzlig werden sollte.

Es dämmerte schon, als wir gegen 20.30 Uhr die Königspromenade entlang fuhren. Sah nicht gerade königlich aus in dieser Gegend. Die Adresse auf dem Zettel stellte sich als ein verlassener Gasthof in einem heruntergekommenen Teil von D’dorf heraus, der mich mehr als alles andere, was ich hier in Deutschland bisher gesehen hatte, an die Seattler Barrens erinnerte und den unangenehmen Gedanken an die Bewohner dieser Gegend in meinem Hirn hervorrief. Wir brachen die Tür des zweigeschossigen Gebäudes auf und bemerkten, dass ein stummer Alarm ausgelöst worden war[38]. Wir machten natürlich, dass wir davonkamen, bevor irgendeine Söldnereinheit uns das Leben schwer machen konnte. Nur Alfred und ich blieben versteckt in der Nähe, um zu beobachten, wie ein Trupp von fünf Leuten in Begleitung von unseren gesuchten Killern aus dem beliebten Unterhaltungsprogramm des MurderTV antanzte und sich umsah. Nachdem sie festgestellt hatten, dass die Vögel offenbar ausgeflogen waren, reparierten sie die Tür und fuhren getrennt wieder davon. „Alfred, ich folge der Magierin. Sie ist die gefährlichste. Wenn wir sie ausschalten können, und dann das restliche Team stellen, haben wir ganz gute Chancen, denke ich.“ Ich versetzte mich im Lotussitz in Trance und löste den Astralleib aus meinem Körper. Dann nahm ich die Verfolgung des Pkws auf, in dem die Magierin und der Elf davongefahren waren. Irgendwann, als ich die Schrecken dieser Stadt, die sich im Astralraum besonders deutlich zeigten, schon nicht mehr ertragen konnte, stiegen sie endlich bei einem Hotel aus und gingen hinein. Ich merkte mir ihre Zimmer und flitzte dann schnell zu Alfred zurück. Die ganze Aktion hatte keine 20 Minuten gedauert, aber Alfred schien es trotzdem schon langweilig geworden zu sein, auf meinen Körper zu achten. „Ich weiß, wo sie wohnen“, meinte ich. „Lass uns die anderen rufen.“

Nach einer halben Stunde kamen wir am Hotel „Zum schlafenden Elf“[39] an. Welch passender Name für einen solche Unterkunft, besonders, da es nicht gerade klein war, sondern durchaus die Größe des Hamburger Hilton besaß. Danach folgte eine Riesenaktion, während der wir uns, mit einem Magschlossknacker bewaffnet, unsichtbar in das Hotel schlichen und die Räume ausmachten, in denen unsere Opfer untergebracht waren. Astral stellte ich fest, dass der Elf schlief, mit seinem Bogen im Arm, und die Magierin Trideo schaute. Also zuerst der Elf. Ich öffnete, immer noch unsichtbar, seine Tür mit dem Magschlossknacker. Gerade als ich im Türrahmen stand, passierte etwas, das meine Einstellung zu tragbaren Telekoms drastisch veränderte: meine verdammte Uhr begann zu piepen und zu rufen. Da wollte mich mitten im Run jemand erreichen! Ich stellte das Gefiepe aus und wandte mich dem jetzt natürlich erwachenden Elfen zu. Mit zwei Schlafzaubern musste ich ihn belegen, bis er wirklich keine Gefahr mehr war. Ich schaltete fluchend das Telekom auf Vibrationsalarm. Der Anrufer war natürlich weg. Sein Glück.

Willy organisierte einen Feuerwehrschlauch, mit dem wir den Elfen an der Außenseite des Gebäudes herunterließen, nachdem Willy sich auf die Feuerleiter gehangelt hatte. Der Schlauch reichte nämlich nur bis dort, und das auch nur, wenn man den Elfen als Pendel benutzte. Die Feuerleiter reichte nämlich nur bis drei Meter an das Fenster heran. Aber wir schafften es nach ein paar Minuten, ohne dass ein gewisser jemand aus der Schlinge fiel und einen hässlichen Fettfleck auf dem Pflaster machte. Unten wurde er endlich von Alfred in Empfang genommen. Die Magierin stellt ein noch größeres Problem dar. Ihr Fenster war nur unter erschwerten Bedingungen von der Feuerleiter aus zu erreichen. Wieder einmal mehr wünschte ich mir, endlich diesen Levitationszauber zu lernen, der mir schon ein paar Mal das Leben hätte leichter machen können[40]. Ich schaffte es, ebenfalls auf die Leiter zu springen und bezauberte die Magierin durchs Fenster. Anschließend holte Willy sie mit Hilfe des Magschlossknackers heraus und gab sie mir durch das Zimmer des Elfen an. Gut, dass es in jedem wohlsortierten Hotel einen Feuerwehrschlauch gab. Wir nahmen ihre Klamotten an uns, einige Fetische und den Bogen des Elfen zum Beispiel, verwischten unsere Spuren und ab ging es. Der Umstand hatte gerade zwanzig Minuten gedauert, und wir befanden uns bald wieder auf der Straße. Die Magierin wurde im hinteren Teil vom Kampfbulli von Willy und mir zugeschnürt, danach wandten wir uns dem langsam erwachenden Elfen zu und befragten ihn. Nach wirkungsvollem Einsatz einiger Zauber hätte er uns sogar erzählt, wann er das erste Mal unter der Bettdecke onaniert hatte, und so erfuhren wir alles, was wir wissen wollten. Das wichtigste, der Standort des Senders, war natürlich jener Gasthof, den wir schon einmal besucht hatten. Gegen 23.00 Uhr (ich begann mich an die Zeitform dieses Landes zu gewöhnen) kontaktierten wir Silvereye, und nach langem hin und her nahm sie die beiden Schurken in Gewahrsam. Wir hatten sie natürlich geplündert und waren nun stolze Besitzer einiger Wertgegenstände und Ausrüstungsstücke mehr.

„Nee, ich hatte auch keine Gusto, die beiden um die Ecke zu bringen, wie sie es von uns verlangt hat“, meinte Willy. „Die am Leben zu lassen war echt Sahne, Mag. Schon genug Blut geflossen hier.“ Er sprach mir aus tiefster Seele. „Well, mein Instinkt sagt mir, dass wir gezwungen sein könnten, bald wieder Blut zu vergießen“, sagte Alfred. „Schließlich steht ja noch die Konfrontation mit den anderen Outcasts aus, die das Fernsehen unsicher machen.“ Recht hatte der Brite. Dazu konnten wir tatsächlich gezwungen sein. Darum wollten wir die Aktion auch so schnell wie möglich durchziehen, bevor einer der MurderTV-Gruppe bemerkte, dass zwei Mitglieder nicht mehr verfügbar waren.

Wir beschlossen, die Aufmerksamkeit des Restes dadurch zu erregen, dass wir ihren Sender zerstörten. In meinem Kopf hatte ich auch schon einen richtig schönen Schlachtplan zurechtgelegt. Leider warf ich den Feuerball auf das Gasthaus, bevor meine Chummers Aufstellung nehmen konnten. Mit einem lauten Knall ging das Gebäude in die Luft und begann zu brennen. Wir hatten uns hinter eine Häuserecke zurückgezogen und warteten auf die Ankunft des „Reparaturteams“.

Als es dann tatsächlich nach ein paar Minuten kam, inklusive eines Trolls in Vollrüstung auf seiner Harley Scorpion, stand das Gebäude komplett in Flammen. Der Troll Knight, der Samurai Rambinator und ihre Leute staunten Bauklötze, als wir sie nach ein paar Sekunden kampfunfähig gemacht hatten. Sie waren aber auch zu überrascht gewesen, dass ihr wertvoller Sender abfackelte. Zwei Leute konnten uns zwar entkommen, aber das waren nur irgendwelche Mechaniker und Techs, die eh nicht wichtig waren. Sollten sie erzählen, was sie gesehen hatten und es sich eine Lehre sein lassen. Gut, dass ich dem Troll nicht nähergekommen war, sondern ihn in seiner Rüstung mit einem Schlafzauber unschädlich gemacht hatte: wie schon zuvor erwähnt, war er Nahkampfspezialist und führte einen mittelalterlichen Zweihänder, den ich nicht einmal heben konnte. Jesus, wenn ich dem zwischen die Finger geraten wäre!

Den Troll packten wir zusammen mit seinem Moped in den Superkombi, den er auch gut ausfüllte. Lenas Leichnam lag immer noch in dem Skisack verpackt in dem Wagen. Es tat jedes Mal weh, wenn man sie bewegen musste, um irgend etwas wegzuräumen oder hinzustellen. Aber wir konnten sie nur im Wagen verstauen, denn was würde wohl geschehen, wenn sie jemand im Hotel oder woanders entdeckte? Der Wagen war da noch die sicherste Alternative. An etwas anderes war mal gar nicht zu denken[41].

Wir lieferten auch diese Typen bei Silvereye ab, die sie mürrisch in Empfang nahm (natürlich behielten wir eventuell nützliche Gegenstände). Willy hatte sich in die Harley Scorpion von dem Troll verliebt und machte bald eine Testfahrt. Anschließend fuhren wir ins Hotel, um nach diesem langen Tag endlich ein wenig Erholung und Ruhe zu tanken. Jetzt mussten wir uns nur noch um diese Killer kümmern, die einen Anschlag auf Maria Estardos’ Leben planten und in irgendeinem Parkhaus lauern sollten.

Bevor ich zu Bett ging, rief mich Leia an. „Hoi Mag“, sagte sie, „ich habe vor ein paar Stunden schon einmal versucht, dich zu erreichen.“ Aha, dann war sie es also gewesen, der ich es zu verdanken hatte, beinahe getötet zu werden, weil im falschen Augenblick das Telekom läutete. Gut, dass sie sich nicht vorher schon gemeldet hatte, denn jetzt war meine Wut verraucht. Ich hatte auch nicht mehr die Energie dazu[42]. Ich verzichtete auf einen Kommentar und hörte lieber zu. „Ich habe schlechte Neuigkeiten. Meine Connections konnten mir niemanden vermitteln, der zur Zeit einen Deckingjob annehmen würde.“ „Ist nicht so schlimm, Leia. Wir kommen ganz gut voran. Viel schlimmer ist der Verlust von Lena. Komisch, jetzt den ganzen Tag über habe ich kaum an sie gedacht, erst wieder, als ich diesen blöden Skisack in der Ladefront unseres Wagens gesehen habe. Es tut so weh, Leia, es tut so weh.“ Ihr Gesicht nahm einen mitleidigen Ausdruck an. „Mag, ich kann dir das nachfühlen, glaube mir, aber die Zeit wird deine Wunde heilen, auch wenn du das jetzt noch nicht für möglich hältst.“ „Du musst auf jeden Fall zu ihrer Beerdigung kommen, Leia, versprich mir das. Ich weiß noch nicht, wann es sein wird, aber ich denke, es wird auf der Burg sein, in nicht allzu ferner Zukunft.“ Sie versprach es. Nicht, weil sie Lena so nahe gestanden hätte, sondern weil ich es war, der sie darum bat. Das spürte ich ganz deutlich. Sie hatte mit Sicherheit auch andere Dinge zu tun, als mich zu bedauern, aber sie kam meinetwegen. Dabei kannten wir uns erst so verdammt kurz... Ich mochte sie sehr.

Gerade als ich mich schlafen gelegt hatte, schellte mein Telekom abermals. Sollte ich denn nie zur Ruhe kommen? „Ja!“ rief ich mürrisch in das Mikro. „Hier ist Ed. Ich muss mich mit Ihnen treffen.“ Ah, das war der Decker, dem wir den Auftrag gegeben hatten, Infos über den Sniper zu organisieren, der Maria tilten wollte. „Warum?“ fragte ich vorsichtig. Es war durchaus nicht üblich, sich mit einem Datenbeschaffer persönlich zu treffen. Zu großes Risiko. „Ich werde verfolgt. Die Daten sind ziemlich heiß, ich musste bei der Yakuza decken. Jetzt sitze ich ziemlich in der Scheiße. Treffen wir uns in der Kneipe ‘Kanone’ am Hilligenbusch 12. Das ist in der Nähe meiner Wohnung. Zeitpunkt: 0.30 Uhr, in einer Dreiviertelstunde also.“ Ich willigte ein und weckte meine Chummer. Wir beschlossen, dass nur Willy und ich zu dem Treffen gehen würden. Alfred konnten wir dann noch später holen, falls etwas geschah. Ich war immer noch misstrauisch und wollte jemanden im Hintergrund haben.

2.08.2052

M

it Willy fuhr ich gemütlich zu der Kneipe, die fast am anderen Ende der Stadt gelegen war, mitten in einer recht ordentlichen Pinkel-Gegend. Wir parkten eine paar Meter vor dem Eingang, der inmitten einer Glasfassade war, durch die man den Innenraum mit seinem Tresen sehen konnte. Momentan war hier ziemlich der Bär los. Wir betraten im Abstand von fünf Minuten den Schankraum, in dem eine bunte Mischung aus Pinkeln und Möchtegern-Gangmitgliedern, einer bunter als der andere, für eine ohrenbetäubende Kulisse sorgte. Im Hintergrund lief irgend ein Rock-Schinken aus dem vorigen Jahrhundert, und ich setzte mich an die Theke auf einen Barhocker. Willy hatte im hinteren Teil des Raums Platz genommen und diente mir als Rückendeckung. Wir waren etwas vor unserer Zeit, also bestellte ich mir ein Bier. Just in diesem Augenblick bemerkte ich, wie ein großer Kerl mit einem dunklen Duster neben mich trat und mich direkt ansah. „Hat Ihnen schon mal einer gesagt, dass es sehr unhöflich ist, jemanden so von der Seite anzustarren?“ fragte ich, ohne ihn direkt anzublicken. Ohne auf die Frage zu antworten entgegnete er: „Sind Sie Mag?“ „Wer will das wissen?“ meinte ich und richtete meinen Blick auf ihn. Er war ein Mensch, sein braunes Haar zu einer Bürste geschnitten und an den Seiten glattrasiert. Über den Ohren bis hinunter in den Nacken schlängelten sich verschlungene Drachen in leuchtenden Farben. Seine kantigen Züge verliehen ihm eine herbe männliche Ausstrahlung. Als ich jedoch in seine Augen blickte, fuhr ich fast zusammen: sie waren pupillenlose, hatten die Farbe von Quecksilber und in ihnen zeigten sich schwarze Symbole; links ein Peace-Zeichen, wie es von den Hippies der 60er des 20. Jahrhunderts benutzt wurde, rechts ein christliches Kreuz. Beinahe wäre ich aufgestanden und gegangen, beherrschte mich dann jedoch und askennte den Mann. Er hatte eine Menge kybernetischer Ersatzteile: seine Augen (natürlich), Datenbuchsen, Nervenbahnen wie für eine Reflexverstärkung oder Riggerverbindung, wahrscheinlich Smartgunverbindung und ähnlichen Schnickschnack. Außerdem hatte er Angst. Er kontrollierte zwar seine Emotion, aber unterschwellig war er ziemlich verzweifelt. Sah aus wie ein Psychopath, von Paranoia zerfressen.

„Evil Ed ist mein Name“, sagte er, „und ich glaube, dass ich einige Infos für Sie habe. Ihrem Chummer dort hinten können Sie übrigens Bescheid sagen, dass er sich zu uns gesellen kann; gesehen habe ich ihn eh schon.“ Er streckte mir seine Hand entgegen. Ich nahm sie und drückte einmal kurz zu. Sein Händedruck war angenehm und kräftig. Dann winkte ich Willy heran. Nicht schlecht für einen Decker, Willy aus dem Gewühl herauszufinden. Normalerweise fiel er so schnell niemandem auf, unscheinbar wie er war. „Evil Ed“ - wie hieß es ? Nomen est omen? Hoffentlich bewahrheitete sich dieser Spruch nicht[43]. Er erzählte uns, dass er auf einige Daten gestoßen wäre, Ms. Estardos’ Ermordung angehend, dass er dabei jedoch zu tief gegraben hätte und nun von der Yakuza verfolgt würde. Das wussten wir ja auch schon soweit. Außerdem hätte er ein Problem mit der Entschlüsselung der Daten. Hmmm. Seltsam. „Fehlt Ihnen vielleicht die nötige Software?“ meinte ich. „Mein Programm kann den Code nicht knacken; wenn Sie also ein besseres haben...“ Wir fuhren aus der Gegend heraus zu der Brücke, an der wir uns schon mit RadWar getroffen hatten. Während der Fahrt kontaktierte ich Alfred, dass er Lenas Cyberdeck mitbringen sollte. Darauf musste sich, soweit ich wusste, noch ein Entschlüsselungsprogramm befinden. Schließlich hatte ich ihr das Ding bezahlt, damit sie nicht in der Matrix herumkrebsen musste.

Alfred rauschte auch bald herbei, Lenas Deck im Gepäck. Mit dem Programm war es kein Problem für Ed, die Datei zu entschlüsseln. Darin waren die Namen zweier Attentäter aufgeführt sowie der Ort und der Zeitpunkt, zu welchem das Attentat stattfinden sollte: auf dem Rückflug nach New York sollten die beiden mit einem flakähnlichen Geschütz Estardos’ Flugzeug aus dem Himmel schießen - von einem Parkhaus gegenüber einer Lagerhalle im Süden Seattles aus (Adresse stand ebenfalls dabei). Die beiden hießen Kyoto Shen Tanaka und Shi. Der erste war Magier und der zweite ein - Moment mal - ein Spezialist für parabiologische Phänomene? Was wollten die Yaks denn mit dem? „Irgend ein Hinweis darauf, was der zweite dort zu suchen hat?“ fragte ich. Kopfschütteln seitens des Deckers. Ich hatte ein mulmiges Gefühl bei der Sache, so, als ob wir etwas übersehen hätten.

„Da wäre noch eine Sache“, meinte Evil Ed. „Durch die Datenbeschaffung bin ich in die Bredouille geraten. Es wäre mehr als anständig, wenn Sie mich solange schützen, bis die Sache durchgestanden ist. Im Gegenzug wäre ich bereit, Ihnen bei Ihrem Auftrag zu helfen.“ „Na wenn du meinst, dass du bei uns sicherer aufgehoben bist, Chummer, dann sei uns willkommen“, sagte Willy geradeheraus. „Die Leute hier haben auch für mich schon einmal Personenschutz übernommen, und wie du siehst, lebe ich noch“, meinte Alfred. Ich musste ein Grinsen unterdrücken. Wie der Schutz ausgesehen hatte, wussten wir ja alle, nur nicht Alfred. Ich persönlich war ja der Meinung, dass er besser weiter zuhause in seinen Sessel gepupst hätte, aber bitte, wenn er uns unbedingt helfen wollte... Ich würde auf der Hut sein und Ed auf keinen Fall trauen. „Meinetwegen“, sagte ich kalt, „Mach bei uns mit, wenn es dir gefällt.“ Dann wandte ich mich ab. Früher hätte ich ihn vielleicht gefragt, was er so trieb und so weiter, aber das interessierte mich nicht mehr, seitdem Lena tot war. Er war nur ein billiger Ersatz für ihre Fähigkeiten, konnte sie aber nicht zurückbringen, und keinesfalls würde ich mich auf eine persönliche Beziehung mit ihm einlassen. Dafür war ich viel zu ausgebrannt[44].

Willy informierte Silvereye über die letzten Neuigkeiten und forderte Unterstützung an. Sie wollte welche schicken, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab, musste aber zur Zeit passen. Wir fühlten uns alle hundemüde (außer Ed), aber kamen überein, dass es schlecht wäre, bis morgen zu warten, da am nächsten Tag auch der Abflug von Maria sein sollte - irgendwann in den Morgenstunden. Das Risiko konnten wir nicht eingehen, sondern mussten noch jetzt handeln. Wir hatten alle Informationen, also schmissen wir uns ein paar Koffeintabs ein, die uns wohl noch ein paar Stunden wach halten würden, und fuhren zu dem Lagerhaus. Unsere Ausrüstung war ja eh schon im Kampfbulli, also konnten wir ohne Umwege dorthin.

Wir waren sehr vorsichtig und fuhren im Schleichgang an das Parkhaus heran. Alfred blieb wie so oft im Wagen, damit wir im Notfall schnell abhauen konnten. Willy, Ed und ich schlichen uns unter dem Mantel eines Unsichtbarkeitszaubers in das Parkhaus, gingen hoch in den 6. Stock, wo mich ein seltsames Gefühl auf einen Feuergeist aufmerksam machte. Nachdem ich den Geist unter meine Kontrolle gebracht hatte, der zu dem Magier Tanaka gehören musste, der wahrscheinlich auf dem Dach saß, stiegen wir höher und blieben vor dem obersten Stockwerk stehen. Das Treppenhaus war in allen Stockwerken verrammelt, so dass man das Dach nicht erreichen konnte, ohne durch die Stahltür zu brechen. Ich hockte mich unter einen Treppenaufgang in den Lotussitz und ging in den Astralraum, um abzuchecken, wo die Typen sich befanden. Willy brach derweil die Tür auf, und das erste, was ich oben sah, war, dass die beiden ihre Waffen bereitmachten und ihr Geschütz auf den Zugang zum Dach ausrichteten. Ich konnte Willy nicht mehr warnen, als er hochkam, aber das war auch gar nicht nötig. Der Magier wurde von mir mit einigen Zaubern attackiert, als er begann, ein Netz aus magischen Energien zu weben, Willy und Ed feuerten aus allen Rohren, sein eigener Geist griff ihn und den Experten für Paratiere an, und nach einigen Sekunden waren die beiden erledigt. Gerade hatte ich den Magier unter meine geistige Kontrolle gebracht, als ein Schuss aus Willies Predator seinem Leben ein Ende setzte. Ich manifestierte mich und fluchte. „Hey Mann, tut mir leid, ich konnte doch nicht wissen, dass du ihn verzauberst“, verteidigte er sich. „Das hat nur wieder ein Menschenleben mehr gefordert“, murmelte ich. Ed meinte: „Was soll’s, der Typ war doch Drek. Nich’ schlimm drum.“ Tolle Einstellung. Irgendwie gewann ich wieder einmal den Eindruck, mich mit jemandem eingelassen zu haben, der überhaupt nicht zu mir und meinen Prinzipien passte, wie schon so oft in meinem Leben. Aber geschehen war geschehen, ich konnte die Leute ja nicht wieder zum Leben erwecken, so schlimm es auch war. Ich flitzte zurück in meinen Körper und ging wieder hoch aufs Dach, diesmal in physischer Gestalt.

Ich hatte kaum einen Fuß auf die Schwelle gesetzt, als einer meiner Zauberspeicher zerbarst und uns Müdigkeit überfiel. Ed fiel um, Willy taumelte. Ein weiterer Zauberspeicher, diesmal war es der Gürtel, zerbarst. Willy konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich war auch schon ziemlich angeschlagen, als ich endlich reagieren konnte und meine Sinne auf die Astraleben ausdehnte.

Was ich sah, erfüllte mich mit namenlosem Schrecken. Vor mir, kaum zwanzig Meter entfernt, schwebte eine riesige, mit ihren Flügeln das Parkhaus überspannende gefiederte Schlange, ein Quetzalcoatl, den ich bislang nur aus Geschichten aus dem mittelamerikanischen Sagen- und Götterkreis kannte. Der Drache schillerte in allen Farben des Spektrums und strahlte auf der Astralebene eine unvergleichliche Macht aus. Ich wusste, dass ich gegen dieses Monster nicht die geringste Chance hatte. Das spürte ich umso deutlicher, als mich ein weiterer Schlafzauber lähmte. Dass ich noch stand, war pures Glück. Wenn mich die Schlange mir aller Macht angegriffen hätte, wäre ich schon längst im Reich der Träume gewesen. Aber ich gab mich nicht geschlagen: wenn ich schon unterliegen sollte, dann nicht durch einen Schlafzauber , der von einem Drachen gesprochen wurde! Ich versuchte, in die Gedanken des Drachen einzudringen, was er mit einem Zucken seiner Augenlider abschüttelte. Dann wurde mir schwarz vor Augen, als mich der gewaltige Entzug des Zaubers traf. Wenigstens war ich durch meine eigene Hand gefallen...

 

Als ich aufwachte, war es bereits 6.00 am, wie ich durch einen Blick auf meine Uhr feststellte. Der Raum war dunkel und ich lag neben einigen anderen Leuten, die wohl meine Chummer sein mussten, was ich aber nicht erkennen konnte. Was ich erkennen konnte, waren mehrere riesige Trideoschirme, auf denen stumm irgendein Programm lief, das mit seinen schnell wechselnden Einstellungen meinen Augen schmerzte. Warum waren die Schirme bloß so groß, fragte ich mich gerade, als der Kopf eines Drachen aus dem Dunkel auftauchte, neben dem die Trids klein wirkten. Aha, alles klar. Es war also keine Einbildung gewesen. Der Drache öffnete sein Maul und offenbarte eine nicht enden wollende Reihe nadelspitzer Zähne. Ein PKW hätte bequem dort hineingepasst. Jetzt sah man auch eine buntgefiederte Schwinge, die sich über uns in das Gewölbe des Raumes hinauftürmte. Die Schlange grinste ein fürchterliches Grinsen und schmetterte mit ihrer gewaltigen Stimme:

„Guten Tag, mein Name ist Coutulesh. Ich arbeite für Rainbow Entertainment.“

Das Bild auf dem Trideoschirm änderte sich und das bezaubernde südamerikanische Gesicht von Maria Estardos erschien. Sie sagte: „Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe. Ohne Sie wären wir aufgeschmissen gewesen. Wie Sie sich vielleicht schon gedacht haben[45], galt das Attentat, das Sie verhindert haben, nicht mir, sondern meiner Chefin Coutulesh.“

Coutulesh sagte nur:

„Danke.“

Ein sehr seltsames Wort, wenn es von einem Drachen ausgesprochen wurde. Seltsam und vor allem selten.

„Coutulesh gehört Rainbow Entertainment, aber ich bin das Aushängeschild für die Firma. Wie Sie sich vorstellen können, vereinfacht das manche Sachen. Es ist unbedingt notwendig, dass niemand von der Existenz meiner Chefin erfährt. Daher haben wir einige Gegenstände für Sie vorbereiten lassen. Betrachten Sie sie als Schweigegeld. Ich wünsche Ihnen weiterhin ein profitables Geschäft. Auf Wiedersehen.“ Der Bildschirm flackerte, und ein anderes Programm trat an die Stelle von Marias Gesicht.

Einige Wachen in schwerer Rüstung übergaben uns unser „Schweigegeld“, das in kleinen und größeren Kästen untergebracht war. Ich konnte immer noch kein Wort sagen. Viel zu geschockt und überrascht war ich von der Wende der Ereignisse. Echt, Mann, wenn Du mal einen staunenden Magier sehen wolltest, dann hättest Du dabeisein sollen. Wir wurden von Silvereye und den Wachen hinaus geführt und die Schlange entschwand unserem Blick. Langsam begann mein Hirn, sich wieder einzuschalten. Am Tor stellte ich Silvereye zur Rede: „Sag mal, macht eure Chefin das immer so, dass sie ihre Leute nach getaner Arbeit schlafen legt, oder ist das nur ein blöder Scherz gewesen?“ „Sei froh, dass sie keine Feuerbälle nach euch geworfen hat, Shadowrunner! Was stellst du die Handlungen Coutuleshs in Frage? Sie wusste nichts von eurer Anwesenheit, das ist alles, und da ist sie auf Nummer sicher gegangen.“ Das warf natürlich einige Fragen auf, die geradezu lächerlich waren. Warum hatte Madame C. die Killer nicht selbst erledigt, wenn sie eh in der Nähe war? Das hätte sie viel besser gekonnt. Und warum um Himmels Willen teilte ich jeden unserer Schritte Silvereye mit, wenn sie sie nicht an ihre Chefin weitergab?

Beinahe hätte ich gelacht, aber da fiel mir ein altes Sprichwort ein, das ein parabiologischer Experte, ja, so könnte man ihn wohl nennen, einst geprägt hatte, lange vor unserer Zeit: „Lach nie über Drachen, solange sie lebendig sind[46].“ Also ließ ich es, sondern schaute mir statt dessen mein „Schweigegeld“ an. Es waren drei Zauberspeicher! Zwei in der Art, wie ich sie verloren hatte, als der Drache seine Zauber hindurchsprach (ein Gürtel mit sichelförmiger Schnalle und ein goldener Klammerdrache als Ohrring), und ein Zauberspeicher in Form eines goldenen Kreuzes an einem Lederband. Damit war ich wieder versöhnt, denn ich hatte schon befürchtet, dass ich mir neue hätte besorgen müssen, was ein ziemlich schwieriges Unterfangen war.

Wir sollten also die gefiederte Schlange vergessen. Welche Schlange eigentlich... [47]?

Der Hammer traf mich dann nochmals auf der Rückfahrt in unser Hotel: Evil Ed sagte nämlich: „So, jetzt, wo das durchstanden ist, kann ich’s ja sagen: ich wusste, dass Coutulesh da war. Das stand nämlich in der Datei.“ Als ich ihm an der Kehle saß, mit einem tödlichen Zauber auf den Lippen, den ich ohne zu zögern geworfen hätte, hätte er auch nur ein falsches Wort gesagt, meinte er gelassen: „Hey, Leute, ich wollte doch nur, dass keiner von euch abspringt. Oder wärt ihr ohne weiteres zum Parkhaus gefahren, wenn einer von euch das gewusst hätte?“ Triumphierend blickte er sich um. „Na also, keiner. Ihr solltet mir dankbar sein.“ Dass ich mich zusammenreißen musste, um ihm seine dämliche Birne nicht wegzupusten, versteht der geneigte Leser wohl. Ich entgegnete nur: „Verschweige nie wieder etwas, was du erfährst, Ed, oder du fliegst raus. Ist das klar?“ Anscheinend verstand er es.

Der Rest ist schnell erzählt: RadWar verkaufte uns für 100.000¥ die drei Selbstschussanlagen (Ed konnte ihn um 50% drücken), die wir in den Kampfbulli von Ed[48] einluden, der uns nach Franken zu meiner Burg begleitete. Während der Fahrt rief Leia an und teilte mir mit, dass Eve nach ihrer Genesung aufgebrochen sei und mir einen Brief hinterlassen habe[49]. Anscheinend war sie wieder zu Ares Makrotech gegangen. Tolles Mädel. Machte den gleichen Fehler zweimal. Mal sehen, ob ich sie irgendwann wieder aus einer brenzligen Situation herausholen musste. Aber das konnte mich alles nicht erschüttern, denn ich war seit Lenas Tod in einen gefühlsfreien Zustand verfallen. Ich spürte weder Haß noch Wut, noch Unzufriedenheit oder irgend etwas derartiges.

Gegen Abend kamen wir bei der Burg an. Alexej eilte uns mit blassweißem Gesicht entgegen, gefolgt von Nelly. Als er die Leiche Lenas sah, in ihrer Skiverpackung, stieß er einen leisen Schrei der Verzweiflung aus. Anscheinend hatte ihm Nelly zwar die traurige Nachricht schon überbracht, aber er konnte oder wollte sie nicht glauben. Jetzt hatte er die Gewissheit. Ich wollte von all dem nichts mehr wissen und zog mich müde in meinen Turm zurück.

3.08.2052 bis 5.08.2052

W

ir bereiteten Lenas Begräbnis vor. Sie hatte keiner speziellen Religionsgemeinschaft angehört, und soweit wir wussten, ihre Eltern auch nicht. Also dachten wir uns eine uns angemessen erscheinende Zeremonie aus. Ich sollte die Grabrede halten, und Nelly würde das Begräbnisfeuer entzünden (der Vorschlag einer Feuerbestattung kam von ihr und erschien uns passend).

So standen wir an einem schönen Sommermorgen, an dem die Sonne unsere Gesichter mit ihrer Wärme verwöhnte und die Vögel zwitscherten in dem kleinen Hain, den Alfred sich als heiligen Ort ausgesucht hatte. Ein Waldgeist, von Leia beschworen, hatte einen Stoß Holz zu einer Pyramide aufgeschichtet, auf der Willy und ich Lena aufbahrten. Wir hatten sie gewaschen und geschminkt und ihr ein weißes Gewand übergezogen, in dem sie mit ihrer goldblonden Lockenpracht wie eine Königin aussah, die friedlich schlief. Ihre Hände waren über ihrem Bauch gefaltet.

Dort standen alle nun schweigend in einem Halbkreis um Lena herum und warteten darauf, dass ich anhob zu sprechen. Nach einigen Augenblicken räusperte ich mich und sprach mit heiserer Stimme:

„Wir alle sind hier zusammengekommen, um einer der unseren die letzte Ehre zu erweisen. Wir alle haben Lena mehr oder weniger gut gekannt und sie als freundliche und gutherzige Freundin und Kameradin in unserer Mitte aufgenommen. Nun ist sie von uns gegangen, und ein jeder von uns wünscht sich, es wäre nicht so bald geschehen und nicht auf diese Weise. Sie hatte nie ein leichtes Leben. Vertrieben aus ihrer Heimat, gehasst und gejagt, unschuldig verurteilt, suchte sie dereinst Schutz in der Obhut unseres Freundes Alexej. Er bemühte sich nach Leibeskräften, ihr das zu geben, was sie wollte: ein normaler Mensch zu werden. Leider war ihm kein Erfolg beschert, und aus ihr wurde ein zerrüttetes Wesen. Ein chaotischer Mensch, den ich als solchen kennen gelernt habe und der mir sein Herz offenbarte, so dass ich ihn verstand. Ein jeder von uns hat ähnliche Erfahrungen mit Lena gemacht. Wenn sie auch äußerlich unnahbar schien, konnte man auf eine Art und Weise mit ihr reden, die uns heutzutage leider verlorengegangen zu sein scheint. Sie war immer ehrlich und offen, niemand kann behaupten, dass er je von ihr betrogen oder belogen worden sei. Nein, im Gegenteil: sie war ein guter Mensch, dem ein kurzes Leben und ein schlimmes Schicksal zuteil wurde, das sie nicht verdient hat.

Ich wünschte, ich hätte gesehen, was ich übersehen habe, Lena, ich wünschte, ich könnte ungeschehen machen, was geschah und nachholen, was hätte geschehen sollen. Ich wünschte, ich könnte Dir Dein Leben zurückgeben, aber ich kann es nicht. Keiner von uns kann das. Uns bleibt nur zu hoffen, dass Du eine bessere Welt erreicht hast, in der man sich nicht sorgen muss und in der Liebe und Licht die Dunkelheit vertreiben. Wir alle wünschen es Dir aus ganzem Herzen.“

Ich machte eine Pause und wandte mich dann an meine Freunde: „Solange sich einer von uns an sie erinnert, ist sie nicht tot, sondern lebt in unseren Herzen weiter. Und was mich angeht, werde ich meinen Kindern und Kindeskindern, so ich denn einst welche mein eigen nennen sollte, die Geschichte erzählen von Lena, die ihr Leben für mich riskierte und dabei umkam.“

Ich hatte das Ende meiner Rede erreicht. Nelly trat vor und verwandelte sich in ihre manifeste Gestalt: einen Feuergeist. Sie fuhr in die Holzpyramide und entzündete sie. Dann kehrte sie in ihrer menschlichen Gestalt zurück und stellte sich schweigend neben uns. Wir sahen zu, wie die Flammen immer höher züngelten, bis sie schließlich Nelly erreichten. Nach einigen Minuten war sie vollständig von Flammen eingehüllt. Nach und nach verließen wir die Lichtung im Druidenhain, nur Alexej blieb dort, um Zwiesprache mit der Toten zu halten und auf das Feuer aufzupassen.

 

Ich habe mich dazu entschlossen, das Tagebuch hier an dieser Stelle enden zu lassen, weil ich mit Bitterkeit erfüllt bin, die mir mehr und mehr die Freude an der Sache nimmt. Was sollte ich nach Lenas Begräbnis auch noch schreiben? Es könnte nur das triviale Geschreibsel eines verhinderten Schriftstellers sein, der weder Sinn noch Zweck in seinem Tun sieht. Sowohl für mich als auch für den geneigten Leser wird es besser sein, wenn ich uns dies erspare. Ich hoffe, dass man in Zukunft an anderer Stelle von mir hören wird, und sei es auch nicht durch meine eigenen Worte.

 

- ENDE -

 

Anmerkung zum Schluss:

Jetzt, im September 2054, habe ich genug Zeit und Abstand gewonnen, um ohne Probleme dieses Dokument und den Bericht über Lenas Tod zu lesen. Viel ist in der Zwischenzeit geschehen, es waren immerhin über zwei Jahre, wenn es mir auch vorkommt, als wären derer zehn ins Land gegangen.

Ich hatte monatelang schwere Gewissensbisse, weil ich Lena nicht geholfen habe, aber dann, im Juni 2053, war mir ein kathartisches Erlebnis beschieden, als ich eine Metaqueste in der Erdebene ablegte. Dort ließen die Gewalten der Niederwelten Lena vor mir erscheinen, wie sie niedergeschossen auf dem Boden lag und sich im Todeskampf wand. Glücklicherweise war ich in der Lage, sie zu retten und wusch mein Gewissen damit rein. Ich weiß, dass sie es war, die dieses Erlebnis in den Metaebenen verursacht hat, frag mich nicht warum, lieber Leser, aber ich weiß es. Sie hat mir vergeben, und ich habe mir danach auch vergeben können. Heute ist sie mir in Erinnerung geblieben als geliebte Freundin, die mich nach meinem Ableben im Jenseits erwarten wird, und irgendwie macht mir das den Gedanken meines eignen Todes viel leichter.



[1] Ich erfuhr später, dass die 30000¥, die der Wagen gekostet hatte, nur ein Viertel des Originalpreises war. Das war ZU billig! Irgend etwas war faul an der Sache.

[2] Im Nachhinein fragte ich mich, ob wirklich ich es war, der dieses Dimensionstor schuf. Warum sagte Nelly, dass wir unsere Augen schließen sollten? Soweit ich wusste, war die Fähigkeit, Tore zu den Metaebenen zu öffnen, ausschließlich eine Kraft freier Geister! Mir drängte sich ein fürchterlicher Verdacht auf.

[3] Anscheinend wurde es während unserer Abwesenheit von Nelly (oder dem Wesen, was sich als Nelly ausgab) ständig aufrechterhalten, denn mir wäre es neu, dass ein Magier auf der Metaebene ein astrales Tor aufhalten könnte (geschweige denn, es überhaupt zu öffnen).

[4] Zu diesem Zeitpunkt war mir noch keinerlei Verdacht gekommen, dass Nelly eventuell nicht diejenige sein könnte, für die sie sich ausgab. Nicht, dass ich mittlerweile Bedenken hätte, ihrer Loyalität zu vertrauen, aber ich hätte doch auf eine Erklärung bestanden. Ich meine, wenn sie ein Geist war, der einen menschlichen Körper angenommen hatte, so war sie mit Sicherheit nicht schlechter als eine menschliche Nelly gewesen wäre, aber trotzdem gab es etwas wie ein Vertrauen, das man zu einem Menschen von vornherein hatte, und das bei Geistern nun einmal eben fehlte. Ich würde mit ihr darüber sprechen müssen, selbst, wenn ich mich irrte und sie kein Geist war.

[5] Die natürlich lautete: „Wo ist Eve Donovan?“

[6] Anmerkung des Verfassers: Diese dumme Sache ist nur passiert, weil ein gewisser Spieler einen gewissen Zettel zu Hause vergessen hatte.

[7] In Runnerkreisen ein eigentlich normaler Preis, jedoch hatte ich bisher immer weniger gezahlt, weiß der Meister, warum.

[8] Was im Endeffekt hieß, dass wir uns more or less auf einem Level befanden. Es wäre mir wahrscheinlich schwergefallen, sie zu bannen, mal ganz abgesehen davon, dass ich ihr so etwas niemals antun würde.


[9] Womit ich sein Todesurteil unterzeichnete, was mir aber in dieser schlaftrunkenen Stunde nicht ganz klar war. Im Nachhinein tut es mir schon leid, da er schließlich auch ein denkendes und fühlendes Wesen war wie wir Humanoide auch.

[10] Wir kontaktierten diesen Schieber und nicht jemanden aus der Nähe, da wir inzwischen hinter allem und jedem ein Komplott sahen, allerdings berechtigterweise, wie ich finde. Bevor ich mich von so einem windigen Typen auf Kreuz legen ließ...

[11] Ich ließ mir erklären, dass Hardpoints die Waffenhalterungen genannt werden, die maximale Bewegungsfreiheit erlauben. Aha, konnte ich da nur sagen.

[12] Nicht dass wir ihn mit dem Schwall Wasser getroffen hätten. Er war viel zu schnell dafür. Aber das Bett hat er geräumt.

[13] Zu diesem Wäldchen führte übrigens, wie ich später entdeckte, ein geheimer Tunnel aus dem untersten Kellergeschoß. Er war stark baufällig und bestimmt nicht so ohne weiteres zu passieren, aber immerhin eine Möglichkeit, die Burg zu verlassen, wenn man nicht gesehen werden wollte.

[14] Da hatte er mich ganz schön angeschmiert. Aber das wollte ich nicht auf mir sitzenlassen. Nein, Freundchen, das würde ich dir heimzahlen, Münze für Münze. Nicht gleich, nein, das wäre ungeschickt. Vielmehr würde ich eine Weile warten und irgendwann zuschlagen, wenn er es am wenigsten erwartete. Nichts Bösartiges würde ich mir einfallen lassen, sondern etwas, worüber er nachdenken konnte.


[15] Welch ein Name! Paßte zu ihrem Aussehen und Gebaren.

[16] Sie verlangten 1000¥ pro Tag und Kopf, zuzüglich freier Kost, Logis und Spesen. Trotzdem würde ich ihn auf kleiner Flamme garen, um ihm eine Lektion zu erteilen.

[17] Ich muss ja nicht mehr extra erwähnen, dass alle meine Geister - einschließlich Watcher - so aussahen.

[18] Sie hatten eine „kleine“ Auseinandersetzung mit ein paar Autoduellisten, die sie aber als „war nichts weiter“ abtaten.

[19] Er war mir von Anfang an nicht besonders klug erschienen, wenn er auch sehr freundlich zu uns war.

[20] Später erfuhr ich von Eve selbst, dass der Typ sich Mos nannte und ein alter Freund von ihr war. Frage war nur, ob er sie nicht vielleicht verraten hatte. Dann war er totes Fleisch.

[21] Die Ähnlichkeit mit Lenas Fall war frappant, nur dass es diesmal eine Anreicherung des Erbgutes mit DNA sein sollte und nicht eine Verstümmelung.

[22] Eine Kopie des Briefes ist hier beigelegt. Eve antwortete mir auf diesen Brief später auch, leider in einer Weise, die mich nicht gerade zu einem glücklichen Mann machte.

[23] Sollte es auch in diesem Tagebuch keine weitere Erwähnung finden, so habe ich diesen Beschluß doch eingehalten. Eve ging es von Tag zu Tag besser.

[24] Eigentlich erhielten wir den Betrag in ECU, aber ich hatte mich so an den Nuyen als Handelseinheit gewöhnt, dass ich keinen Unterschied zwischen den Währungen mehr machte; der Kurs lag auch immer bei ca. 1:1.


[25] Meine Aura war ja maskiert, seitdem ich Initiat war, ich konnte aber weder alle Zauberspeicher noch Silberschlange, meinen Kraftfocus, vollständig verbergen.

[26] Das deutsche Equivalent zu DocWagon, einem Sanitätsunternehmen, das einen auch aus der dicksten Klemme herausholte, wenn man verletzt war - solange man zahlte.

[27] Ich beschloss ein für alle Mal, dass ich mich nach dem Run zur Ruhe setzen und Orichalkumproduzent werden würde.

[28] Was keineswegs üblich war. Schließlich hatten wir mehr oder weniger nur mit einem Überwachungsjob gerechnet.

[29] Nur in Europa konnte man einem Wagen einen solchen Namen geben - ich bevorzugte doch den Terminus „Superkombi“, wie er in den U.C.A.S. üblich war.

[30] Später stellten wir fest, dass das der Ork gewesen war.

[31] So viel Überlegung hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

[32] Inzwischen bereue ich es nicht mehr, dass ich in dieser Situation so hart war. Diese Typen verdienten, totes Fleisch zu sein.

[33] Später habe ich manches Mal über dieses Ereignis nachgedacht und mich gefragt, was wäre gewesen, wenn... Mit Freuden hätte ich mein eigenes Leben für das ihre hingegeben, wenn es etwas genutzt hätte. Ich hatte zuvor schon Menschen sterben sehen, das letzte Mal ein paar Minuten vorher. Aber niemals war der Schock so intensiv gewesen wie bei dem Tod meiner Freundin, die mir so vertraut war und der ich vertraute wie einer Schwester.

[34] Sehr zum Leidwesen der sogenannten „Starreporterin“, die direkt neben uns saß und gefesselt war. Sie zuckte öfter als der Gefolterte.



[35] Vielleicht später, schließlich hatte ich immer noch eine stoffliche Verbindung zu ihm. Die Option wollte ich mir offen halten.
 

[36] Um zu überprüfen, ob mein Zauber Erfolg hatte, gab ich ihr einfach den Befehl: „Hüpf mal.“ Sie hüpfte tatsächlich.

[37] Als Willy, Lena und ich zur Garde der Staasfeinde Nr.1 emporgehoben wurden - als frauenschändende Terroristen. War schon eine schöne Zeit damals, als Lena noch lebte.

[38] Manchmal merkt man als Runner eben Dinge, die für andere unentdeckbar sind. Nein, mal im Ernst, Willy entdeckte ob seiner Klugheit ein paar Alarmdrähte an der geschrotteten Tür.

[39] Unser hochgeschätzter Meister war ja schon immer erfindungsreich und mit schöpferischer Kraft gesegnet, wenn es um Namen ging.

[40] Was ich in der Zwischenzeit auch getan habe.

[41] Wie zum Beispiel, sie einfach zu verscharren oder liegen zu lassen. Inzwischen kann ich es aussprechen. Damals war es mir unmöglich. Ich bin froh, dass ich so gedacht habe und auch immer noch denke. Lena hat ein würdiges Begräbnis bekommen, so wie es ihr zustand - es war das einzige, was wir noch für ihre sterbliche Hülle tun konnten.

[42] Außerdem war es ja wohl meine Schuld, wenn ich so etwas simples nicht bedachte, wie ein Handgelenktelekom abzuschalten, wenn ich auf einen Run ging.

[43] Was er leider doch tat, als Ed sich in seinem Wahn später dazu hinreißen ließ, mit vier Granaten eine Wachmannschaft von 14 Personen auszulöschen. Es waren diese Leute, die ihn dazu veranlassten, in sich zu kehren und auf die weisen Worte seiner Mitstreiter zu hören, die da sagten: töte nur in Notwehr! Ich weiß bis heute nicht, wie weit man ihm trauen kann, besonders seitdem er sich neue, bislang nur als Prototypen erhältliche Cyberware hat einbauen lassen. Als er eines Morgens um 7.00 am von seinem Wecker aus dem Bett geholt wurde, wie vom Blitz getroffen aufsprang, „Alarm“ rief und nach seiner Smartgun griff, wussten wir, dass es eines Tages mit ihm (oder uns) ein rasches Ende nehmen würde...

[44] Jetzt, da ich diesen Text nach Jahren das erste Mal wieder lese, bin ich bestürzt über die Einstellung, die ich damals hatte. Der Schock muss mir wirklich tief in den Knochen gesessen haben, dass ich so über Ed reden konnte. Zugegeben, seine Erscheinung sprach nicht gerade für ihn, aber mit der Zeit ist er einer meiner treuesten Freunde geworden und wir haben uns gegenseitig mehrere Male das Leben gerettet. Jetzt sieht er allerdings auch etwas humaner aus und arbeitet offiziell als mein Leibwächter in Chicago. (September 2054)

[45] Ich konnte in diesem Augenblick an gar nichts denken.

[46] Es war ein Zitat Bilbo Beutlins, der Sagengestalt aus dem Tolkien-Zyklus.

[47] Da sieht man mal wieder: jeder Mensch ist käuflich.

[48] Auch Ed fuhr einen VW Superkombi.

[49] Liegt dem Dokument anbei.

 
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